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Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)

Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)

Titel: Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Fischer
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allesamt sauber gefegt und von vereinzelten Rissen abgesehen in einem hervorragenden Zustand. Scarlet konnte sie nicht neben dem Tempel abgesetzt haben.
    Mit einem wachsamen Blick auf den Schützen über sich schlich Angel die Straße entlang, Hauseingang für Hauseingang. Sie vermutete, dass die Sauberkeit mit der Entfernung zum belebten Stadtzentrum abnehmen würde, und nach zwei Blöcken vernahm sie tatsächlich das Krachen kleiner Betonsplitter unter ihren Militärstiefeln. Auf der anderen Straßenseite warnten gelbe Schilder vor einer Baustelle. Die Abbrucharbeiten an einem Fast-Food-Lokal hatten den Dreck bis auf die Fahrbahn geschleudert.
    Angel drehte sich einmal um hundertachtzig Grad, um sicherzugehen, dass ihr niemand gefolgt war, sprintete auf die gegenüberliegende Seite und versteckte sich zwischen den Arbeitsgeräten und Schuttbergen. Als nächstes erinnerte sie sich daran, wie Scarlet sie mehrfach warnte und ihr wiederholt befahl, den Kopf einzuziehen, während sie auf dem Schotter unterwegs waren. Angel hatte sich die Schritte von einem Hindernis zum anderen genau gemerkt. Erst vier, dann sechs und dann noch einmal dreizehn. Nach ein paar Minuten war sie auf der richtigen Spur. Durch ein Loch in der Wand, anschließend unter einem herausstehenden Stahlträger entlang und zum Schluss an einem abgestellten Bagger vorbei, dessen Schaufel etwas zu weit herunterhing. Dadurch erhielt sie auch eine Richtung, die ihr nur logisch erschien: Direkt auf den Tempel zu.
    Angel konnte inzwischen nur hoffen, dass sie der Scharfschütze nicht bemerkte. Sie selbst hatte ihn längst aus den Augen verloren und vertraute sich blind den Schatten an. Ihr nächstes Ziel stellte für sie eine Überraschung dar. Nach dem Schotter erwartete sie weicher Boden, wie eine Wiese aus den Tälern, in denen das Flüchtlingskloster lag. Jetzt, wo Angel die große Grasfläche im Zentrum von Alexandria gesehen und den Trick mit dem Kunstrasen verstanden hatte, wusste sie, wonach sie suchen musste.
    Ihr Weg führte sie an drei einzelnen Gebäuden vorbei. Das letzte erinnerte sie stark an die Bibliothek von Brackwood, in der die Sicarii einst Cassidy gefangengehalten hatten. Inzwischen war die Glasfassade des Tempels zum Greifen nahe. Nur noch eine Straße und zwei kleine Häuser trennten sie davon, durch die Scheiben einen Blick ins Innere zu erhaschen. Beunruhigt spähte sie um die Säulen des museumsähnlichen Baus und fragte sich, wo sie vom Weg abgekommen war. Dabei fielen ihre Augen auf eine Ansammlung von flachen Steinen, die im Mondlicht grell leuchteten. Bei genauerem Hinsehen entdeckte Angel die gleichmäßigen Grabplatten auf dem Boden. Scarlet hatte sie über einen Friedhof geführt, der im Schatten des Tempels lag.
    Das ergab Sinn, dachte sie sich. Die meisten Menschen hielten Abstand zu den Toten und selbst Kinder verstanden, dass man zwischen Gräbern nicht spielen sollte. Wenn die Bacchae irgendwo einen unbemerkten Zugang anlegen würden, dann hier.
    Gebückt lief Angel einen großen Bogen um die Grasfläche, um nicht als wandelnder Busch aufzufallen, und suchte dabei nach Auffälligkeiten. Sie vermutete ein Loch in der Tempelwand oder eine Falltür. Sie entsann sich, wie sie eine Treppe hinabgeführt wurde, doch da war noch etwas anderes. Kalte Luft, die ihr ins Gesicht blies und die sie unter ihrer schweißtreibenden Kutte hatte aufatmen lassen. Im Tempel war es frisch gewesen, doch dessen Luft fühlte sich anders an. Sauberer und trockener. Der erste kalte Schauer erinnerte sie an die Wasserquelle unterhalb des Klosters. Feucht und moderig.
    Angels Blick fiel auf die Gruft am Ende des Friedhofs, die weit entfernt vom prächtigen Glasbau lag. Grabeskälte. Das erschien ihr die richtige Umschreibung. Auf dem Dachgiebel über zwei weißen Steinsäulen prangte das Zeichen der Bacchae, die Frau mit den verbundenen Augen. Cassidy hatte ihr erzählt, wie Arthur und Michelle am liebsten umgekehrt wären, als sie dasselbe Symbol bei Jades Treffpunkt zwischen den Sträuchern entdeckten. Hier würden sich ganz sicher keine einfachen Bürger hineinwagen.
    Sechs Stufen führten in die Tiefe, exakt dieselbe Anzahl die Angel gezählt hatte. Kaum öffnete sie die schwere Holztür, schlug ihr der erwartete Windzug entgegen. Die Tür war unverschlossen, so als wäre es ein unerhörtes Sakrileg, die heiligen Hallen zu betreten – oder so, als gäbe es hier nichts zu stehlen.
    Von diesem Punkt an war Scarlet ebenso blind gewesen wie Angel.

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