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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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einem Löschteich entstiegen. Wenn er redete, zappelten seine Finger über die Tischplatte wie Schnaken beim Paarungstanz. Tocke-di-tock. Tocke- di-tock. Er redete, seit sie gekommen waren. Er lümmelte in einem mokkabraunen Sessel und redete.
    Redete über nummerierte Münzbehälter, über Akkutrennschleifer, Spanische Reiter, Farbrauchsysteme. Geld holen, sagte er, Koffer andocken, scharf schalten, zurück zum Wagen. Bei einem Raubüberfall in Revingehed, Regiment P7, und der Wachdienst eine Lachnummer. Die Beute: Drei Automatikwaffen Modell AK 4. Eine Ruger Mini 14 steuert Göransson bei. In Västmanland gibt es dafür eine Jagdlizenz, haha. Forss grinste breit. Und redete weiter. Das komplette Equipment. Funkgeräte, Scanner. Es waren bloß Monologfetzen, die sie auffing, während ihr Blick immer wieder an einer Samm lung schwerer Biergläser haften blieb. Sie verstaubten auf einem Regal neben dem Fenster und waren gefüllt mit kleinen weißen Kügelchen. Mottengift? Riecht es deshalb wie im Tannenwald hier?
    Sie sah sich um. Der Hausherr hatte einen halbherzigen Versuch unternommen, es seinen Gästen gemütlich zu machen. Die Einbauküche war hinter einer fleckigen Schiebetür versteckt worden, auf dem Tisch, um den sie alle saßen, standen Wodka und Kaffeetassen, eine Thermoskanne, Pulverkaffee.
    – Gegen Mittag wird aus Geld Gewicht, hörte sie Forss jetzt sagen. Da kriegt man es im Rücken. Zehn Stunden bücken, zehn Stunden schleppen für zwanzigtausend Kronen im Monat, nach dem zweiten Bandscheibenvorfall haben sie alle die Schnauze voll. Die Kofferträger werden keinen Widerstand leisten.
    – Das dürfen sie nicht einmal. Keiner ist bewaffnet. Der Bariton gehörte zu dem dicken Mann in der gemusterten Strickjacke. Er war ihr als Aukusti vorgestellt worden. Ein Finne, der mit seinen runden Backen und seinen großen braunen Augen aussah wie ein übergroßes Kind. Tjock-Aku, so nannten sie ihn. Dick-Aku. War er es, der seit Monaten beobachtete, welchen Weg die Geldtransporter an welchen Tagen nahmen? Oder hatte sie durcheinandergebracht, was Myrbäck ihr auf der Fahrt hierher zu erklären versucht hatte?
    – Am fünfundzwanzigsten sind die Transporter randvoll mit Cash. Das ganze Land wird ausgezahlt, vormittags Banken, nachmittags der Handel. Ein regionaler Anbieter mit nur sechs Panzerwagen, aber untadeligem Ruf. Auf ihre Pünktlich keit können wir uns verlassen. Schon der Verdacht einer Verspätung ist geschäftsschädigend. Ihre kurzen Tage haben zwölf Stopps, die langen zwanzig.
    Sobald der Finne mit dem Babygesicht sprach, hörten alle aufmerksam zu. Seine Worte hatten Gewicht. Sogar der stämmige Kerl im Sofa, dessen Oberlippe ein rotgraubraunes Gestrüpp sprenkelte, ließ von der provozierenden Lektüre seiner Sportzeitung ab.
    – Jeden Morgen um halb sieben geht’s los. Ihre Routen wechseln sie ständig, an vier Kreuzungen aber müssen sie immer vorbei, ob sie wollen oder nicht. Bevor sie vom Hof fahren, suchen sie die Wagen nach Sendern ab. Sie scannen, wonach sie aber nicht suchen, sind Lochbohrungen im Unterboden.
    Angeber X und kann doch nix, dachte sie. Tjock-Akus Art zu sprechen, die wichtigtuerischen Gesten, die seine Redepausen untermalten, der ganze Mensch ist kaum zu ertragen, dachte sie. Wie alle anderen hier im Raum. Demonstrativ erhob sie sich und verschwand im Badezimmer.
    Ein fensterloses Loch. Eine mit PVC ausgelegte Kammer. Es roch nach Schweiß und Rasierwasser. Das einzige Handtuch hing feucht wie ein Lappen auf der Duschstange. Sie nahm es widerwillig, wischte ein paar Runden über die Klobrille und setzte sich. Während sie pinkelte, schob sie den Duschvorhang beiseite. In Bodenhöhe war er verschimmelt.
    Sie hatte schon lange geahnt, dass ein solcher Moment sie überfallen würde, früher oder später, egal, ob in einem spakigen Badezimmer, vor einer leeren Toilettenpapierrolle und einer Duschwanne, in der sich Haarbüschel vor dem Abfluss stauten, oder an einem anderen freudlosen Ort. Ein Moment von Klarsicht, in dem sie begriff, dass die Polizei noch immer nach ihr suchte, dass sie kein Zuhause hatte, keine Arbeit, kein Zurück. Sie hatte sich vorgemacht, dass die Dinge sich irgendwie entwickeln, ohne ihr Zutun zurechtbiegen würden; dass ihr sorgloses Inselleben fortbestehen könnte, über den Sommer hinaus.
    Sie stand vor dem Waschbecken und legte sich den Handrücken auf die Stirn. Ihr war heiß, ihr war elend zumute. Minutenlang ließ sie kaltes Wasser über die

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