Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
protokollierte der Parkwächter nicht nur den zuvor bereits geschilderten Kratzer am Kotflügel des Wagens, er entdeckte auch ein kleines, in seiner Rundheit nahezu perfekt gestanztes Loch in dessen Beifahrerseite.
Dem Parkwächter war das Ganze unangenehm, sah er sich doch seit geraumer Zeit nicht so sorgfältig um, wie sein Dienst als Subunternehmer der Hamburger Messe AG das eigentlich vorschrieb. Aus Bequemlichkeit hatte er versäumt, seine Kontrollrundgänge durchs Parkhaus zu erledigen. Auch ein Schnelldurchlauf der Videofilme seiner Überwachungska meras half ihm nicht weiter: Wer den Wagen dort abgestellt hatte, war nicht mehr zu erfahren, denn die Kameras liefen in 24-Stunden-Loops, im Anschluss überspielten sie das Aufgenommene.
Die Suche nach dem Besitzer des Audi Q7 verlief noch am selben Abend scheinbar erfolgreicher: Er war in Ingolstadt gemeldet, trug den Namen Martin Creutz, war fünfundvierzig Jahre alt und von Berufs wegen als Vertreter der Firma »g+s planwelt« in Wettstetten bei Ingolstadt unterwegs. Dass weder im gesamten Freistaat Bayern eine Firma gleichen Namens existierte, noch ein fünfundvierzigjähriger Mann namens Martin Creutz dort lebte, wurde bei einem Datenabgleich zwischen Polizeicomputer und Fahndungssoftware »Inpol-Neu« merkwürdigerweise nicht umgehend erkannt.
✴
In Hamburg-Altona hatten Beamte der Fachkommission Brand am späten Nachmittag ihre Suche nach den Ursachen der Werkstattverpuffung abgeschlossen und standen kurz davor, den Schadensort wieder freizugeben. Wie bei derarti gen Tatortbefundaufnahmen üblich, waren Hunde für die Suche nach Brandlegungsmitteln oder Zündeinrichtungen eingesetzt worden. Anschließend hatte das unter der Federführung des BKA entwickelte Simulationsmodell KOBRA-3D Anwendung gefunden. Es ermöglicht die Rekonstruktion von Brandverläufen in ihrer Frühphase und simuliert den Einfluss verschiedener Zündquellen bis hin zum Vollbrand.
Die Amtsärztin war über Funk bestellt worden. Nach kurzer Augenscheinnahme der Leiche und ihres Fundorts hatte sie geschlossen, dass der Fundort auch der Todesort war, anschließend die Todesbescheinigung ausgestellt und auf dem entsprechenden Formular ein Kreuz an jene Stelle gesetzt, die die Todesart als »ungeklärt, ob natürlich/nicht natürlich« klas sifizierte.
Direkt im Anschluss an die Überführung der Leiche an die landeskriminalamtliche Rechtsmedizin zum Zwecke einer gerichtlichen Leichenschau mit toxikologischer Untersuchung von Blut, Urin, Mageninhalt und Haar hatten Mitarbeiter des örtlichen Gasversorgers den Hausanschluss geprüft. Die Knöpfe der zwei Gasflammen eines Herdes im Vorraum des Gebäudes waren in Nullstellung vorgefunden worden, der Verschluss des starren Gaszuführungsrohrs komplett ver schlossen. Ein Haarriss jedoch in dem Gaszuführungsrohr an der Hinterwand des Herdes war möglicherweise Ursache für ein Austreten des Gases gewesen. Ein Unglücksfall, ja, eine aus untersuchungstechnischer Sicht allzu bekannte Sachlage: Die explosionsfähige Atmosphäre wird durch den Abreißfunken eines Lichtschalters durchgezündet und entspannt mit größter Wucht. Insbesondere in einem für eine solche Druckbelastung nicht ausgelegten Brennraum, wie es der Nachkriegsbau der »Perma-Corro GmbH« war, konnte eine Verpuffung erhebliche Schäden hervorrufen. Der enormen Hitze, die sich bei einer Detonation entlud, hat der menschliche Körper nichts entgegenzusetzen. Da zudem auch die Rettungskräfte der Feuerwehren erst eingreifen konnten, nachdem die Gefahr einer weiteren Explosion auf ein akzeptables Risiko minimiert worden war, fand man das Opfer stark verbrannt vor, vor allem im Gesicht, an Oberkörper sowie Armen und Händen, was darauf hindeutete, dass die Hitzewelle das Opfer in sitzender Position erfasst hatte.
Eine Befragung sämtlicher Hofanlieger hatte ergeben, dass das mutmaßliche Opfer, Dirk Raschke, Alter 42, wohnhaft in der Vereinsstraße 12, gegen acht Uhr zwanzig in seiner Werkstatt eingetroffen war und das Gelände in der Folge offenbar nicht mehr verlassen hatte, bis es zu dem Unglück gekommen war. Einer der Befragten, ein Lehrling der Tischlerei »Holzwurm«, hatte gegen die Mittagszeit einen Besucher bei dem späteren Opfer gesehen, auch vage vom Sehen wiedererkannt, aber namentlich nicht benennen können.
✴
Im Institut für Rechtsmedizin Hamburg, Forensische Pathologie, ruhte derweil eine weitaus schlimmer verkohlte Leiche in ihrer Kühlkammer, und noch
Weitere Kostenlose Bücher