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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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an sich nicht ungewöhnlicher Umstand, der aus seit Jahren herrschenden ehelichen Verstimmungen rührte sowie aus den regelmäßigen Aufenthalten des Mannes in Hamburg, wo er in Hafennähe eine Im- und Exportfirma betrieb und im Stadtteil Harburg für einen zweiten Wohnsitz gemeldet war, Gottschalkring 40. Stanczak war ein Mensch auf Achse, doch dass er sich weder bei seinen Brüdern noch bei seinem Vater gemeldet hatte, war der Gattin unerklärlich und Grund ihrer Vermisstenmeldung gewesen.
    Die Angaben von Dorota und Patrycja Stanczak wurden protokolliert, anschließend schickte man sie ohne tröstende Worte in ihr Backsteinhaus in Danzig-Wrzeszcz zurück. Dort verkauften sie ebenerdig in einem Ladenlokal digitalisierte Drucke und Reproduktionen von Fotografien aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, vornehmlich an deutsche Touristen. Am beliebtesten waren Aufnahmen von der nahe gelegenen Halbinsel Westerplatte, wo am 1. September 1939 die »Schleswig-Holstein« die polnischen Garnisonsdepots unter Beschuss genommen hatte.
    Der Vermisste war beim Polizeikorps des Dritten Polizeikommissariats eine prominente Figur. Obwohl kein Gewalt verbrecher, stand er laut Dossier jederzeit unter Verdacht: Stanczak, Zbigniew Nikodem, geboren am 30. Juni 1966 in Danzig, einen Meter fünfundsiebzig groß. Polnischer Staatsbürger, Wohnsitz Aleja Grunwaldzka 45, Arbeiterherkunft, Berufsschule, Fliesenleger, eine Tochter, vorbestraft. Verurteilt wegen vielfachen Autodiebstahls, Krediterschleichung und Valutavergehens, Betruges, Drogenbesitzes. 1993 in Bielsko-Bia ł a zu zwei Jahren Haft wegen schweren Diebstahls verurteilt.
    Es war eine umfangreiche Akte, die sich in einem grauen Aktenordner angesammelt hatte. Irgendjemand hatte sich vor Jahren die Mühe gemacht, auf einem DIN-A3-Blatt mit bunten Filzstiften ein Beziehungsgeflecht aufzumalen, das Licht und Logik in das illegale Treiben des umtriebigen Mannes bringen sollte.
    Stanczaks Vita begann aktenkundig zu werden, als er Anfang der achtziger Jahre mit seinem älteren Bruder regelmäßig nach Budapest und Helsinki reiste, dort nicht nur Blusen und elastische Rollkragenpullover erwarb, sondern auch literweise Hundeshampoo. Shampoo gehörte in jener Zeit zu den knappen Konsumgütern Polens; in Danzig entwarf Stanczak polnische Etiketten, auf denen das Wort Hund nicht mehr auftauchte. In den späten achtziger Jahren stieg er in den Handel mit Amphetaminen ein und war mutmaßlich Teil einer Organisation, die in der Fachwelt als »Tankdeckelbande« galt. Bei vielen Automodellen jener Zeit passte der Zündschlüssel zugleich auf den Tankdeckel. Der Dieb musste also nur noch das einfache Tankdeckelschloss knacken, einen Nachschlüssel anfertigen und fertig.
    Die jüngsten Notierungen in der Akte, Kopien aus der Przes t pczo ś ci Gospodarczej, der Abteilung für Wirtschaftskriminalität, betrafen sein kriminelles Treiben in der Bundes republik Deutschland: Im Hamburger Hafenviertel, in der Mattentwiete, gründete er die Im- und Exportfirma Prototex oHG, 25000 Mark Grundkapital; Geschäftsfeld: der Handel mit Autoersatzteilen.
    Stanczaks Verschwinden würde vermutlich nur wenige Menschen betrüben. Auch die Polizei hätte rein gar nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn Gestalten wie er aus dem Verkehr gezogen wurden. Noch bevor sein Dienst um siebzehn Uhr endete, sandte deshalb der die Akte führende Kommissar und frisch beförderte Oberleutnant über das Schengener Informationssystem SIS eine Meldung mitsamt Daten, Fotos und bündiger Erklärung der Sachlage an die Kriminalstelle der Polizei in Hamburg.
    ✴
    Dort hatte die Verkehrspolizei einen Tag voller Routinearbeiten hinter sich gebracht, als kurz vor achtzehn Uhr in der Polizeiwache 16 in der Lerchenstraße der Anruf eines Parkwächters der Hamburger Messe AG auflief. Im zweiten Untergeschoss des von ihm betreuten Parkhauses hatten zwei Messebesucher aus Antwerpen beim Ausparken das neben ihnen abgestellte Fahrzeug am hinteren Kotflügel gestreift und den bronzefarbenen Lack hässlich zerkratzt. Durch ihre häufigen Reisen in die Bundesrepublik wussten die beiden Belgier, wie heikel die Nachbarn mit dem Delikt der Fahrerflucht umgingen, wie unerbittlich sie jene verfolgten, die es begingen. Um also einer Strafverfolgung der deutschen Justiz zu entgehen, suchten sie den Parkwächter in seinem Glashäuschen auf und beichteten ihm das Vorgefallene. Gemeinsam stiegen die Männer in die unterste Ebene der Tiefgarage hinab.
    Dort

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