Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Armen in das Beet fallen. Sie knickte ein und stieß mit ihren Knien in die Erde zwischen den Salatköpfen. Weil niemand sie wässerte, waren sie klein wie Babykaninchen und kräuselten sich welk an den Blatträndern.
Mit schmutzigen Knien lief sie zu Ove. Sie waren verabredet, um Kaulquappen zu fangen.
Ove wohnte in zwei braunen Wohnwagen, die seine Eltern zusammengeschoben hatten. Sie standen auf einem Fundament aus Ziegelsteinen und sahen aus wie eine Riesenzigarre. Oves Zimmer erinnerte sie an eine Schiffskajüte. Von der Decke über seinem Bett hingen getrocknete Seepferdchen und ein Knurrhahn. Den hatte ihm ein Onkel aus Ibiza mitgebracht.
Ove lief den ganzen Sommer lang in gelben Gummistiefeln herum und sammelte alles, was kaputt war. Seine Eltern hatten wohl nichts dagegen, dass hinter dem Wohnwagen Tretroller und Kochtöpfe herumlagen, Gitterroste, Fußbälle. Was klein genug war, steckte er in eine Holzkiste, die er als Nachttisch benutzte. Auf ihrem Deckel klebte ein Aufkleber in Grün und Rot: Legalisiert Haschisch! Ove war fast ein Jahr älter als sie.
Als sie mit einem Kescher und einem Marmeladeneimer auf dem Weg zum Garnisonsgraben waren, sah sie, dass Ove seine Fingernägel lackiert hatte. Sie hatten fast dieselbe Farbe wie das Tuch, das noch immer auf dem Bett ihrer Mutter lag und nach Tränen roch. Violett.
Was glaubst du, wo meine Mutter ist?, fragte sie ihn.
Vielleicht ist sie zum Tulpenhaus gegangen und aus Versehen ins Wasser gefallen, antwortete er.
Das hatte er schon einmal zu ihr gesagt, und natürlich glaubte sie ihm nicht. Ihre Mutter konnte noch besser schwimmen als sie. Und Erwachsene durften am Ufer beim Tulpenhaus liegen, so lange sie wollten. Den Kindern war es verboten. Weil dort viele Büsche waren und man überfallen werden konnte. Oder missbraucht. Wer dann noch mehr Pech hatte, wurde im See ertränkt.
Als sie die Kasernen am Mælkebøtten hinter sich ließen und durch das Gestrüpp zum Wasser hinunterrutschten, sagte Ove: Mein Vater behauptet, dass deine Mutter in Vesterbro gelandet ist.
Was ist da?, fragte sie. In Vesterbro?
Da bezahlt man und kann dann ficken.
U m fünf Uhr in der Früh bestiegen sie den so gut wie leeren Vorortzug in Gröndalsviken, erreichten eine Stunde später den Stockholmer Hauptbahnhof und fuhren mit der roten U-Bahn-Linie bis zur Haltestelle Danderyd-Krankenhaus. Noch im Fußgängertunnel aßen sie vor der »SOS Servicebutik« im Stehen jeder eine Zimtschnecke und tranken Kaffee aus einem Pappbecher. Myrbäck bestellte eine Pepsi, um eine Alvedon-Tablette hinunterzuspülen. Seit dem Aufwachen hackte der Kopfschmerz rhythmisch auf seine linke Stirnseite ein.
Kurz vor sieben bestiegen sie den Bus der Linie 602 und sahen mit müden Gesichtern dabei zu, wie sich der Schneematsch auf der Frontscheibe des Busses einen aussichtslosen Kampf mit den Scheibenwischern lieferte.
– Scheißapril, sagte Holzapfel. Er stieß ihn an. Hört der Winter hier niemals auf?
Als sie den Bus an der Haltestelle Noragårdsvägen verlie ßen, waren sie von mächtigen Bäumen umgeben. Vor ihnen lagen leere Fußwege, alle paar hundert Meter funkelte das Licht einer Laterne.
Beinah ideal, dachte Myrbäck. Noch in der Nacht hatten er und Holzapfel sich am Computer die weitläufigen Grundstücke mit den Garagenauffahrten und abgedeckten Swimmingpools aus der Satellitenperspektive angesehen. Nicht einmal Hundebesitzer würden sich bei diesem Sauwetter mit ihren Kötern vor die Tür trauen.
– Jetzt müssen wir nur noch einen Trottel finden, sagte er. In Danderyd, bei den reichen Leuten.
Zügig gingen sie in Richtung Süden. Jeder ihrer Schritte wurde von einem feuchten Geräusch begleitet, das ihre Schuhe in den Schneematsch drückten. Holzapfel trug ein Kapuzenshirt unter seiner Lederjacke. Von hinten geht er glatt als Zwanzigjähriger durch, dachte Myrbäck. Seine kompakte Figur, seine Bewegungen aber verrieten sein Alter.
Sie liefen den Syrenvägen in voller Länge ab, trotteten am Clubhaus des Golfplatzes entlang und passierten den Yachthafen am Klingstra-Strand, wo der Wind feuchten Schnee in das Haar und die Ohren drückte. Sie kamen an schäbigen Reihenhäusern vorbei, in deren Windschatten sie das Rauschen der Autos auf der E 18 hören konnten. Mit jedem neuen Hügel, den sie überwanden, mit jeder Kurve wurde die Welt um sie herum stiller. Die ersten Villen tauchten auf, mit ihnen die wettergebleichten Schilder, die an Strommasten baumelten und kundtaten,
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