Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Bettwäsche beiseite. Die Sehnsucht danach, endlich wieder eine Aufgabe zu Ende zu bringen, ohne dass ein schreiendes Kind ihre Aufmerksamkeit beanspruchte, war fast körperlich spürbar. Sie brauchte Zeit für sich. Hin und wieder musste sie eine Erwachsene sein dürfen. Die Kinder waren das Wichtigste in ihrem Leben, aber manchmal hatte sie das Gefühl, sich alles andere versagen zu müssen. Patrik hatte zwar ein paar Monate Elternzeit genommen, aber auch da hatte sie als eine Art Projektleiterin dafür gesorgt, dass alles funktionierte. Patrik war eine große Hilfe, aber das war genau der Punkt: Er half mit. Und wenn eins der Kinder krank wurde, war sie diejenige, die Abgabetermine verschob oder Interviews absagte, damit er zur Arbeit gehen konnte. Obwohl sie dagegen anging, war sie zunehmend verbittert, dass ihre Bedürfnisse und ihr Beruf immer zu kurz kamen.
»Hör jetzt auf, Noel!« Sie riss ihn von seinem Zwillingsbruder weg, der schluchzend auf dem Boden lag. Sofort fing Noel auch an zu weinen, und Erica bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn zu fest am Arm gepackt hatte.
»Mama ist dumm.« Maja sah Erica böse an.
»Stimmt, Mama ist dumm.« Erica setzte sich auf den Fußboden und nahm die weinenden Zwillinge in den Arm.
»Hallo?« Eine Stimme aus dem Flur.
Erica zuckte zusammen, wusste aber im nächsten Moment, wer es war. Es gab nur eine Person, die bei ihnen ins Haus kam, ohne zu klingeln.
»Hallo, Kristina.« Sie rappelte sich mühsam auf. Die Zwillinge hörten sofort auf zu weinen und rasten auf ihre Großmutter zu.
»Anordnung vom Chef. Ich soll hier übernehmen.« Kristina trocknete Antons und Noels Tränen.
»Übernehmen?«
»Du wirst offenbar in der Dienststelle erwartet.« Kristina sah sie an, als ob das selbstverständlich wäre. »Mehr weiß ich auch nicht. Ich bin ja nur die Rentnerin, von der erwartet wird, dass sie jederzeit kurzfristig einspringt. Patrik hat mich angerufen und gefragt, ob ich sofort zu dir kommen könnte. Zum Glück war ich zu Hause, denn ich hätte ja schließlich auch etwas Wichtiges vorhaben können, wer weiß, ein Date zum Beispiel oder wie man das heute nennt. Ich habe Patrik gesagt, dass es diesmal ausnahmsweise geht, aber in Zukunft bitte eine bessere Planung. Ob ihr es glaubt oder nicht, ich bin noch nicht zu alt für ein eigenes Leben.« Sie holte kurz Luft und sah Erica an. »Worauf wartest du noch? Patrik braucht dich in der Dienststelle.«
Erica begriff noch immer kein Wort, beschloss aber, keine weiteren Fragen zu stellen. Was immer er von ihr wollte, würde ihr eine kleine Atempause verschaffen, und mehr verlangte sie im Moment gar nicht.
»Ich habe Patrik schon gesagt, dass ich nur tagsüber hierbleiben kann, denn heute Abend kommt das Sommerschlagerquiz im Fernsehen, und das will ich auf keinen Fall verpassen. Da ich vorher noch einkaufen und meine Wäsche machen will, muss ich spätestens um fünf los, sonst schaffe ich nicht, was ich mir vorgenommen habe, ich habe schließlich bei mir zu Hause auch einiges zu erledigen. Leider Gottes kann ich nicht nur für euch da sein, auch wenn es hier mehr als genug zu tun gibt.«
Erica knallte grinsend die Tür hinter sich zu. Freiheit.
Im Auto wurde sie nachdenklich. Was war bloß so dringend? Sie konnte sich höchstens vorstellen, dass es etwas mit Patriks und Göstas Besuch bei Schrott-Olle zu tun hatte. Bestimmt hatten sie die Sachen von Elvanders gefunden. Leise pfeifend fuhr sie in Richtung Tanum. Plötzlich bereute sie, was sie über Patrik gedacht hatte, zumindest zum Teil. Wenn er sie an der Ermittlungsarbeit teilhaben ließ, würde sie einen Monat lang, ohne zu murren, den Haushalt allein schmeißen.
Sie fuhr auf den Parkplatz vor der Polizei und eilte im Laufschritt in das hässliche kleine Gebäude. An der Rezeption war niemand.
»Patrik?«, rief sie in den Flur.
»Wir sind hier drinnen. Im Konferenzzimmer.«
Sie ging seiner Stimme nach, blieb jedoch in der Tür stehen. Tisch und Fußboden waren mit Gegenständen bedeckt.
»Es war nicht meine Idee«, sagte Patrik mit dem Rücken zu ihr. »Gösta war der Meinung, dass du es verdient hast, dabei zu sein.«
Sie warf Gösta eine Kusshand zu, er wandte sich errötend ab.
»Habt ihr schon etwas Interessantes gefunden?« Sie blickte sich um.
»Nein, wir sind noch gar nicht fertig mit dem Auspacken.« Patrik pustete den Staub von einem Fotoalbum und legte es auf den Tisch.
»Soll ich euch dabei helfen, oder soll ich mir die Sachen schon
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