Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
weg und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Deine Sauklaue ist auch nicht leicht nachzumachen.«
Gösta lachte erleichtert, weil Patrik Verständnis hatte. Er wusste nicht, ob er sich genauso großzügig verhalten hätte.
»Ich weiß, dass dies kein gewöhnlicher Fall für dich ist«, sagte Patrik, als hätte er Göstas Gedanken gelesen.
»Ihr darf nichts passieren.« Gösta wühlte weiter in dem Karton.
Patrik rührte sich nicht. Gösta blickte wieder zu ihm hoch. »Wenn Annelie noch leben würde oder zumindest damals noch gelebt hätte, wäre alles anders. Hast du Leon gesagt, dass wir noch mal mit ihm reden wollen?«
»Ich würde ihn lieber überraschen. Wenn wir ihn aus dem Gleichgewicht bringen, wird er mit höherer Wahrscheinlichkeit reden.« Patrik verstummte. Er schien nicht genau zu wissen, ob er weiterreden sollte oder nicht. Dann sagte er: »Ich glaube, ich ahne, wer die letzte Karte geschickt hat.«
»Wer?«
Patrik schüttelte den Kopf. »Es ist nur so eine Idee. Ich habe Torbjörn gebeten, eine Sache zu überprüfen. Wenn er sich meldet, weiß ich mehr. Vorher möchte ich lieber noch nichts sagen, aber ich verspreche dir, dass du es als Erster erfährst.«
»Das hoffe ich wirklich.« Gösta wandte ihm den Rücken zu. Er hatte einiges zu tun. Irgendetwas, das er bereits gesehen hatte, verlangte seine Aufmerksamkeit. Er würde weitersuchen, bis er es gefunden hatte.
Rebecka würde ihn wahrscheinlich nicht verstehen, aber Josef hatte ihr trotzdem einen Brief hinterlassen, damit sie zumindest erfuhr, dass er dankbar für ihr gemeinsames Leben war und sie liebte. Ihm war jetzt bewusst, dass er sie und die Kinder für seinen Traum geopfert hatte. Scham und Schmerz hatten ihn blind für seine Gefühle für sie gemacht. Trotzdem hatten sie ihm treu zur Seite gestanden.
Den Kindern hatte er ebenfalls Briefe geschrieben. Auch die enthielten keine Erklärungen, sondern nur ein paar Worte des Abschieds und Handlungsanweisungen. Die Kinder durften nicht vergessen, was er von ihnen erwartete. Wenn er nicht mehr da war, um sie daran zu erinnern, durften sie trotzdem nie ihre Verantwortung und ihre Aufgabe aus den Augen lassen.
Langsam aß er sein Ei zu Mittag, das genau acht Minuten gekocht hatte. Zu Beginn ihrer Ehe war Rebecka in diesem Punkt unzuverlässig gewesen. Manchmal waren es neun, mitunter nur sieben Minuten gewesen. Mittlerweile war ihr das Ei schon seit Jahren nicht mehr misslungen. Sie war eine gute und pflichtbewusste Ehefrau gewesen, und seine Eltern hatten sie gemocht.
Den Kindern gegenüber war sie jedoch hin und wieder zu nachgiebig. Das machte ihm Sorgen. Obwohl sie erwachsen waren, brauchten sie eine strenge Führung, und er war sich nicht sicher, ob Rebecka dazu in der Lage war. Außerdem bezweifelte er, ob sie ihr jüdisches Erbe in lebendiger Erinnerung bewahren würden. Doch was hatte er für eine Wahl? Seine Scham würde an ihnen kleben und ihnen jegliche Möglichkeit rauben, erhobenen Hauptes durchs Leben zu gehen. Er war gezwungen, sich für ihre Zukunft zu opfern.
In einem schwachen Moment hatten ihn Rachegedanken gestreift, aber die hatte er fast sofort beiseitegeschoben. Er wusste aus Erfahrung, dass Rache nichts Gutes hervorbrachte. Nur noch mehr Dunkelheit.
Nachdem er das Ei aufgegessen hatte, tupfte er sich sorgfältig den Mund ab und stand auf. Ohne sich umzusehen, verließ er zum letzten Mal sein Haus.
Das Geräusch einer schweren Tür, die aufgestoßen wurde, weckte sie. Verwirrt blinzelte Anna in den Lichtstreifen. Wo war sie? Schmerzen wummerten hinter ihren Schläfen. Mühsam setzte sie sich auf. Es war kalt, und sie war nur in ein dünnes Laken gehüllt. Zitternd vor Kälte schlang sie die Arme um sich. Panik überkam sie.
Mårten. Nun erinnerte sie sich. Sie hatten in seinem und Ebbas Bett gelegen und Wein getrunken. Sie hatte eine heftige Sehnsucht verspürt. Die Erinnerung war nun ganz deutlich. Anna wollte sie verdrängen, aber die Bilder von ihren nackten Körpern flimmerten erbarmungslos durch ihren Kopf. Im Mondschein hatten sie sich aufeinander zubewegt. Dann wurde alles schwarz, und sie erinnerte sich an gar nichts mehr.
»Hallo?«, rief sie in Richtung Tür, erhielt jedoch keine Antwort. Alles kam ihr so unwirklich vor, als wäre sie in einer anderen Welt gelandet. Wie Alice im Wunderland in dem Kaninchenbau. »Hallo?« Sie wollte aufstehen, aber die Beine gaben unter ihr nach.
Etwas Großes wurde in den Raum geworfen, dann fiel die Tür
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