Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Spinne erschlagen wollte, und das Tier stattdessen behutsam ins Freie trug. Allmählich begriff sie, dass Mårten nicht mehr existierte. Vielleicht war er schon bei Vincents Tod zerbrochen. Sie war nur mit ihrer eigenen Trauer zu beschäftigt gewesen, und nun war es zu spät.
Mårten legte den Kopf schief und betrachtete sie wie eine Fliege, die sich in seinem Netz verheddert hatte. Ihr Herz klopfte wie wild, aber sie konnte nicht mehr kämpfen. Wohin sollte sie fliehen? Aufgeben war am einfachsten. Sie würde zu Vincent kommen, der Tod jagte ihr keine Angst ein. Sie war nur noch traurig. Traurig, weil etwas in Mårten zerbrochen und ihre Hoffnung so jäh erloschen war.
Als Mårten sich zu ihr herunterbeugte und ihr die Hände um den Hals legte, sah sie ihm ruhig in die Augen. Seine Hände waren warm und vertraut. Wie oft hatten sie ihre Haut gestreichelt. Er drückte immer fester zu, und ihr Herz begann zu rasen. Hinter ihren Lidern blitzte es hell. Ihr Körper wehrte sich und verlangte nach Sauerstoff, aber es gelang ihr, ihn mit eisernem Willen zum Schweigen zu bringen. Während es um sie dunkel wurde, versöhnte sie sich mit ihrem Schicksal. Vincent erwartete sie.
Gösta war im Konferenzraum sitzen geblieben. Die Aufregung, als sie den fehlenden Pass bemerkten, hatte sich gelegt. Möglicherweise war er nur ein alter Skeptiker, aber er wusste einfach, dass es für einen verschwundenen Reisepass viele Erklärungen geben konnte. Vielleicht war Annelies Pass ungültig gewesen oder an einem anderen Ort aufbewahrt worden und beim Entrümpeln des Hauses verlorengegangen. Andererseits war es nicht unwahrscheinlich, dass es doch etwas zu bedeuten hatte, aber damit sollte sich Patrik beschäftigen. Er selbst fühlte sich verpflichtet, das Ganze noch einmal minutiös zu untersuchen. Er schuldete Ebba Sorgfalt. Vielleicht war etwas unter den Sachen, was sie zwar gesehen, aber falsch eingeschätzt oder nicht gründlich genug in Augenschein genommen hatten.
Maj-Britt hätte ihm nie verziehen, wenn er nicht alles in seiner Macht Stehende getan hätte, um der Kleinen zu helfen. Ebba war nach Valö zurückgekehrt. Da draußen wartete etwas Dunkles und Gefährliches auf sie, und er musste um jeden Preis verhindern, dass sie zu Schaden kam.
Sie hatte einen ganz besonderen Platz in seinem Herzen, seit sie sich damals beim Abschied an ihn geklammert hatte. Es war einer der schlimmsten Tage seines Lebens gewesen. Der Tag, an dem die Frau vom Jugendamt Ebba abholen kam und sie zu ihrer neuen Familie brachte, hatte sich für immer in sein Gedächtnis gebrannt. Maj-Britt hatte Ebba gebadet und fein gemacht. Sie hatte ihr ordentlich gekämmtes Haar mit einer Schleife zusammengebunden und ihr das weiße Kleid angezogen, das sie nächtelang genäht hatte. Er hatte Ebba an diesem Morgen kaum ansehen können, weil sie so unglaublich niedlich aussah.
Aus Angst, es würde ihm das Herz brechen, wollte er ihr nicht einmal Lebwohl sagen, aber Maj-Britt machte ihm klar, dass sie sich richtig von dem kleinen Mädchen verabschieden mussten. Also war er in die Hocke gegangen und hatte die Arme ausgebreitet, und sie war mit flatternder Schleife und wehendem Rock auf ihn zugerannt. Dann hatte sie ihm die Arme um den Hals gelegt und ihn ganz fest gedrückt. Sie schien zu spüren, dass es das letzte Mal war.
Gösta schluckte, als er vorsichtig Ebbas Babykleidung aus einem Karton nahm, den Patrik gerade gepackt hatte.
»Gösta.« Patrik stand in der Tür.
Erschrocken drehte Gösta sich um. In den Händen hielt er immer noch ein weißes Flügelhemdchen.
»Woher wusstest du die Adresse von Ebbas Eltern?«, fragte Patrik.
Gösta schwieg. Fieberhaft suchte er nach einer Erklärung. Er hätte Patrik mit Sicherheit davon überzeugen können, dass er die Adresse zufällig irgendwo liegen sehen und sich gemerkt hatte, doch stattdessen seufzte er.
»Ich habe ihr die Karten geschickt.«
»G«, erwiderte Patrik. »Darauf wäre ich nie gekommen. Ich muss wirklich auf dem Schlauch gestanden haben.«
»Ich hätte es dir erzählen sollen. Ein paar Mal habe ich es auch versucht.« Er senkte beschämt den Kopf. »Aber ich habe ihr nur die Geburtstagsgrüße geschickt. Die letzte Karte, die Mårten uns gegeben hat, war nicht von mir.«
»Das leuchtet ein. Ehrlich gesagt denke ich schon die ganze Zeit über diese Karte nach. Sie unterscheidet sich völlig von den anderen.«
»Die Handschrift wirkt auch nicht besonders ähnlich.« Gösta legte das Hemdchen
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