Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Gegenstand heraus, um ihn zu betrachten. Ein Zahn. Angeekelt ließ sie ihn wieder in die Kiste fallen und wischte sich die Hand an der Wolldecke ab.
»Hast du was gefunden?«, fragte Ebba.
»Nein, noch nicht.«
Mit einer ungeheuren Kraftanstrengung durchsuchte Anna auch die zweite Kiste. Als sie fertig war, sank sie auf die Knie. Nichts. Sie würden nie hier rauskommen. Sie würden hier sterben.
Dann zwang sie sich, wieder aufzustehen. Es war noch eine Kiste übrig, und sie durfte nicht aufgeben, obwohl der Gedanke sie anwiderte, einen weiteren Versuch zu unternehmen. Entschlossen ging sie zur letzten Kiste. Ebba hatte aufgehört herumzuwühlen und saß weinend auf dem Fußboden. Anna warf ihr einen Blick zu, bevor sie die Hand noch einmal in eine Kiste steckte. Als sie den Holzboden unter den Fingerkuppen fühlte, bewegte sie die Hand langsam nach rechts und links. Da war etwas. Es schien sich um einen Stapel Papier mit ganz glatter Oberfläche zu handeln. Sie zog die Hand heraus und hielt den Stapel ins Licht.
»Ebba«, sagte sie.
Da sie keine Antwort bekam, setzte sie sich neben Ebba. Sie hielt ihr die Fotografien hin.
»Sieh mal.« Es kribbelte ihr in den Fingern vor Neugier, aber sie ahnte, dass der Fotostapel ein Teil von Ebbas Geschichte war. Ebba hatte das Recht, die Bilder als Erste zu sehen.
Zitternd griff Ebba nach den Polaroids.
»Was ist das?« Langsam schüttelte sie den Kopf.
Obwohl sie den Blick lieber abgewendet hätten, starrten sie die Bilder an. Beiden war klar, dies war die Erklärung für die Ereignisse an jenem Ostersonnabend.
Mårten wirkte immer abwesender. Seine Lider waren schwer, sein Kopf hing zur Seite. Erica merkte, dass er kurz vorm Einschlafen war. Sie wagte es nicht einmal, Gösta anzusehen. Noch immer hielt Mårten den Revolver fest umklammert, und jede plötzliche Bewegung wäre lebensgefährlich gewesen.
Schließlich fielen ihm die Augen ganz zu. Langsam drehte sich Erica zu Gösta um und legte den Zeigefinger auf die Lippen. Er nickte. Fragend blickte sie zur Tür hinter Mårten, doch Gösta schüttelte den Kopf. Nein, sie glaubte auch nicht, dass es möglich war. Falls Mårten aufwachte, während sie sich hinausschlichen, schoss er womöglich wild um sich.
Sie dachte nach. Sie brauchten Hilfe. Wieder sah sie Gösta an und hielt sich die Hand wie ein Telefon ans Ohr. Gösta begriff sofort, was sie meinte, und griff in die Jackentasche, warf Erica jedoch kurz darauf einen resignierten Blick zu. Er hatte sein Handy nicht dabei. Erica sah sich im Zimmer um. Ein Stück entfernt von ihnen lag Annas Handtasche. Langsam rutschte Erica in die Richtung. Als Mårten im Schlaf zuckte, hielt sie mitten in der Bewegung inne, doch dann schlief er mit dem Kinn auf der Brust weiter. Sie erreichte die Tasche mit den Fingerspitzen, und Erica bekam den Henkel zu greifen, nachdem sie sich ein wenig gedreht hatte. Sie hielt den Atem an, hob die Tasche vom Boden auf und zog sie lautlos zu sich heran. Vorsichtig durchsuchte sie den Inhalt. Gösta beobachtete sie dabei. Streng runzelte sie die Stirn, als er ein Husten nicht ganz unterdrücken konnte. Mårten durfte jetzt nicht aufwachen.
Endlich hielt sie Annas Handy in der Hand. Als sie feststellen wollte, ob es auf lautlos geschaltet war, wurde ihr plötzlich klar, dass sie den vierstelligen PIN -Code nicht wusste. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu raten. Sie gab Annas Geburtsdatum ein. »Falsche Eingabe« blinkte ihr entgegen. Sie fluchte innerlich. Vielleicht hatte Anna die ursprüngliche Ziffernkombination gar nicht geändert, und dann war es unmöglich, diese herauszufinden. Zwei Versuche hatte Erica noch. Nachdem sie eine Weile überlegt hatte, probierte sie es mit Adrians Geburtstag. Wieder hieß es: »Falsche Eingabe«. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Es gab noch ein bedeutsames Datum in Annas Leben: den schicksalhaften Tag, an dem Lucas starb. Erica gab die vier Ziffern ein, und plötzlich begrüßte sie ein helles grünes Licht in der wunderbaren Welt des Telefons.
Sie warf einen Blick in Göstas Richtung, der erleichtert aufatmete. Nun kam es darauf an, schnell zu handeln. Mårten konnte jeden Moment aufwachen. Gott sei Dank besaßen sie und Anna das gleiche Handymodell, so dass Erica sich mühelos im Menü zurechtfand. Sie schrieb eine kurze, aber ausreichend informative SMS an Patrik, der den Ernst der Lage begreifen würde. Mårten wurde unruhig. Kurz bevor sie die SMS verschickte, fügte sie rasch noch weitere
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