Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Schläfrigkeit wollte ihr ja nichts Böses, sie umfing sie sanft und machte sie wieder zu einem ganzen Menschen.
»Ebba!« Mårten packte sie am Arm. Sie wehrte sich, denn sie wollte sich an diesen schönen, friedlichen Ort treiben lassen, zu dem sie aufgebrochen war. Dann fühlte sie einen Schlag ins Gesicht, eine Ohrfeige, die einen brennenden Abdruck auf ihrer Wange hinterließ. Benommen rappelte sie sich auf und sah Mårten in die Augen. Sein Blick war zornig, doch auch besorgt.
»Das Feuer ist jetzt gelöscht«, sagte er, »aber wir dürfen trotzdem nicht hierbleiben.«
Als er sie hochziehen wollte, wehrte sie sich. Er brachte sie um die einzige Möglichkeit seit langem, sich auszuruhen. Aufgebracht hämmerte sie mit den Fäusten auf seine Brust ein. Es war ein gutes Gefühl, all ihre Wut und Enttäuschung rauszulassen. Sie schlug so fest zu, wie sie konnte, bis er sie an den Handgelenken packte und näher zu sich heranzog. Er drückte ihr Gesicht an seins und hielt sie fest. Sein schneller Herzschlag an ihrem Ohr brachte sie zum Weinen. Dann ließ sie sich hochheben. Er trug sie nach draußen, und als die kalte Nachtluft ihre Lunge füllte, gab sie sich bereitwillig dem Schlaf hin.
Fjällbacka 1908
S ie kamen am frühen Morgen. Mutter war bereits mit den Kleinen aufgestanden, während Dagmar noch gemütlich im warmen Bett liegen blieb. Das war eben der Unterschied zwischen einem richtigen Kind von Mutter und den Hurenbälgern, um die sie sich kümmerte. Dagmar war etwas Besonderes.
»Was ist denn da los?«, rief Vater aus der Kammer. Wie Dagmar war er aufgewacht, weil irgendjemand beharrlich an die Haustür pochte.
»Aufmachen! Hier spricht die Polizei!«
Nun riss dem Beamten offenbar der Geduldsfaden, denn die Tür wurde aufgerissen, und ein Mann in Uniform stürmte herein.
Erschrocken setzte sich Dagmar im Bett auf und zog sich die Decke bis unters Kinn.
»Die Polizei?« Vater kam in die Küche und knöpfte sich ungeschickt die Hose zu. Sein eingesunkener Brustkorb war mit spärlichen grauen Haarbüscheln bedeckt. »Lassen Sie mich wenigstens mein Hemd anziehen, dann klären wir die Sache schon. Das muss ein Missverständnis sein. Hier leben ehrliche Leute.«
»Hier wohnt doch Helga Svensson?«, fragte der Polizist. Dicht hinter ihm standen zwei weitere Männer. Die enge Küche war voller Betten. Zurzeit hatten sie fünf kleine Kinder im Haus.
»Ich heiße Albert Svensson, Helga ist meine Ehefrau«, sagte Vater. Er hatte mittlerweile sein Hemd angezogen und die Arme vor der Brust verschränkt.
»Wo ist Ihre Ehefrau?« Die Stimme klang streng.
Dagmar sah die Falte zwischen den Augenbrauen ihres Vaters. Er mache sich zu schnell Sorgen, sagte Mutter immer. Schwache Nerven.
»Mutter ist hinten im Garten. Mit den Kleinen«, sagte Dagmar. Erst jetzt schienen die Polizisten sie zu bemerken.
»Danke«, erwiderte der Wortführer und machte auf dem Absatz kehrt.
Vater folgte den Polizisten. »Sie können doch nicht einfach bei ehrbaren Leuten reinplatzen. Man erschreckt sich ja zu Tode. Sagen Sie mir endlich, worum es geht.«
Dagmar schlug die Bettdecke zurück, stellte die Füße auf den kalten Küchenfußboden und rannte im Nachthemd hinterher. Im Garten wurde sie plötzlich aufgehalten. Zwei Polizisten packten sie am Arm. Sie versuchte, sich loszureißen, und einer der Polizisten keuchte vor Anstrengung, weil er sie nicht entwischen lassen wollte. Die Kinder schrien, und die Wäschestücke, die Mutter bereits auf die Leine gehängt hatte, wurden in dem Tumult heruntergerissen.
»Mutter!« Dagmar rannte auf sie zu.
Sie stürzte sich auf das Bein eines Polizisten und biss ihm, so fest sie konnte, in den Oberschenkel. Brüllend vor Schmerz ließ er Mutter los, drehte sich um und gab Dagmar eine Backpfeife, dass sie zu Boden fiel. Verdutzt blieb sie im Gras sitzen und strich sich über die brennende Wange. Die Achtjährige war in ihrem ganzen Leben noch nicht geschlagen worden. Sie bekam zwar mit, wie ihrer Mutter im Umgang mit den Kleinen die Hand ausrutschte, aber bei Dagmar war ihr das noch nie passiert. Und deshalb wagte Vater es auch nicht.
»Was erlauben Sie sich? Haben Sie sich etwa an meiner Tochter vergriffen?« Rasend vor Wut trat Mutter nach den Männern.
»Das ist nichts, verglichen mit dem, was Sie getan haben.« Wieder hielt der Polizist Helga fest. »Sie werden des Kinds mords verdächtigt, wir haben die Genehmigung für eine Haus durchsuchung. Und wir sind gründlich, das können
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