Die Engelsmuehle
plausibel.«
»Du müsstest allerdings die Sonnenbrille runternehmen. So eine trägt heutzutage niemand mehr - sieht echt ätzend aus.«
Hogart ließ die Brille da, wo sie war. »Fahr heim«, sagte er in einem genervten, aber noch einigermaßen ruhigen Ton.
»Okay, jetzt mal im Ernst.« Tatjana nickte zur Akademie. »Ohne mich wirst du nichts rausfinden. Die merken doch, dass du ein Schnüffler bist. Hast du noch deine gefälschte Polizeimarke?«
»Die hat mir Garek abgenommen.«
»Ist das der Fesche?«
»Garek ist der Hässliche, der Fesche heißt Eichinger.«
Hogart bemerkte, wie die Gespräche an der Balustrade verstummten. Mittlerweile wurden sie von mehreren Personen beobachtet.
»Komm mit«, seufzte er. »Aber du sagst kein Wort, verstanden?« Tatjana nickte.
»Du bist meine Tochter, wirst nächsten Monat maturieren und möchtest im Herbst Kunst unter all diesen Verrückten studieren - ist das klar?«
»Prima Plan.«
»Meine ich auch, du siehst ohnehin aus wie eine Verrückte.«
Wolfram Priola, der Rektor der Akademie, sah überhaupt nicht wie ein Verrückter aus. Der Mann mit der monströsen Brillenfassung und den dicken Gläsern, dem biederen Seitenscheitel und dem kurz gestutzten, grauen Oberlippen- und Kinnbart erinnerte Hogart an seinen eigenen Vater. Obwohl die beiden in zwei verschiedenen Welten gelebt hatten, war er seinem Vater stets mit Respekt und Achtung begegnet. Er hatte immer die demokratische, faire und intelligente Art seines alten Herren bewundert, doch auf der anderen Seite war sein Vater ein Narr gewesen - zumindest was sein Gespür für finanzielle Geschäfte anbelangt hatte. Völlig egal, ob es sich dabei um einen Secondhand-, Lebensmittel- oder Antiquitätenladen handelte. Eine Handvoll Geschäftspartner hatte ihn jedes Mal in den Ruin getrieben, und Hogart hatte sich bereits als Junge geschworen, nie so naiv wie sein Herr Papa zu werden. Mittlerweile wusste er, dass er Versicherungsdetektiv geworden war, um Betrüger zu fassen, die andere aufs Kreuz legten, und damit etwas gutzumachen, das er als Jugendlicher nicht hatte verhindern können.
Priolas Räuspern holte ihn wieder in die Gegenwart zurück. Sie standen in der Aula der Akademie, und jedes Geräusch wurde von der hohen Kuppel mit dem Deckenfresko und den Marmorkacheln auf den prunkvollen Treppenaufgängen zurückgeworfen.
Der Rektor, der Hogart gerade mal bis zur Schulter reichte, lockerte den Krawattenknoten. »Hier sind an die achtzig Studenten eingeschrieben, und sowohl Lehrkörper als auch Gastdozenten unterrichten etwa zwanzig Fächer pro Semester. Für welche Studienrichtung interessiert sich Ihre Tochter?«
Mit Kunstfragen erwischte man Hogart immer auf dem falschen Fuß. So weit konnte der Fettnapf gar nicht entfernt sein, dass er ihn nicht doch noch erreichte. »Ja, Kunst …«, murmelte er, während er Tatjana einen Blick zuwarf.
Diese studierte fieberhaft den Lehrplan an der Tafel, die hinter Priola an der Wand hing. »Lehramt, Kunstgeschichte oder Kulturwissenschaft sind nicht so meine Stärken«, gab Tatjana zu. »Mich interessiert mehr moderne Kunst, vor allem wenn sie in die Tiefenpsychologie hineinspielt - was den Maler dazu bewegt, ein bestimmtes Motiv zu wählen.«
Priola zog eine Augenbraue hoch, wodurch er wie eine Eule wirkte, die soeben festgestellt hatte, dass sich ein zweites Exemplar mit ähnlichen Interessen in ihrem Revier befand. »Eine gute Wahl. Dieses Semester bieten wir beispielsweise das Seminar Die Archetypen der Seele in der modernen Kunst an.«
»Klingt interessant.«
Heuchlerin, dachte Hogart, doch insgeheim war er dankbar, dass sie ihre Sache so gut machte.
»Der Kurs ist gut besucht, unter den Teilnehmern finden sich unter anderem einige bekannte Persönlichkeiten. Das liegt einerseits am reizvollen Thema, andererseits an der Dozentin. Professor Bohmann gilt als eine Koryphäe auf diesem Gebiet - und ihre Unterrichtsmethoden sind unorthodox, aber treffsicher.«
Sie hatten es geschafft.
Tatjana boxte Hogart in die Seite, als sie dem Rektor zu Linda Bohmanns Büro folgten.
5
Hogart und Tatjana standen vor Bohmanns Schreibtisch. Nachdem der Rektor sie vorgestellt hatte, verschwand er wieder nach draußen und schloss die Tür.
Das Büro war klein, aber fein säuberlich aufgeräumt. Damit entsprach es überhaupt nicht dem Klischee, das Hogart von Kunstdozenten hatte, die er gern mit anderen Chaoten oder schmuddeligen Typen in eine Schublade steckte. Mit den
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