Die Engelsmuehle
Metallband, worauf er zornig wurde und den Gesellen mit sich in die Hölle riss. Seitdem war es keinem gelungen, den Ring zu entfernen - nicht einmal dem geübtesten Schlosser. Es hieß, dass keine menschliche Hand das Schloss öffnen könne. Daher wurde es Brauch, dass jeder Geselle, der nach Wien kam, den Stock besuchte und zum Andenken an den vom Teufel geholten Kameraden einen Nagel in den Stamm schlug, bis er völlig mit Eisen bedeckt war.
»Der Stock steht in der Wiener Innenstadt, am Graben«, beendete Bohmann ihre Erzählung. »Aufgrund des Kupferplättchens eines Eisenstifts wissen wir, dass der letzte Nagel 1832 eingeschlagen wurde. Das Gemälde stammt übrigens aus einem älteren Werkzyklus meiner Schwester über den Wiener Volksglauben.« Unwillkürlich deutete sie mit dem Kopf zum Schreibtisch.
Dort stand ein gerahmtes Bild, das Linda Bohmann im Rollstuhl zeigte. Hinter ihr erhob sich eine hochgewachsene Frau in einer schwarzen Stola, die Bohmann eine Hand auf die Schulter legte. Das Foto besaß eine unheimliche Ausstrahlung, als stünde der Leibhaftige hinter dem Rollstuhl.
»Ist sie das?« Hogart zeigte auf das Bild. »Sie sehen sich ausgesprochen ähnlich.«
»Wie das bei Zwillingsschwestern üblich ist.« Für einen Augenblick wurde Bohmann ernst. »Gestern Abend war übrigens Madeleines Vernissage der Galerie Grimbaldi. Ihre Gemälde werden täglich ab 18.00 Uhr ausgestellt. Falls Sie daran interessiert sind, wie Kunst in der Praxis aussieht, und was einem nach dem Studium erwartet, gehen Sie doch heute Abend mit Ihrer Tochter hin.«
»Die Galerie Grimbaldi?« Ein merkwürdiger Name für einen Gemäldeaussteller.
»Das ist der Veranstalter, doch die Räumlichkeiten dort sind zu eng. Madeleines Gemälde sind einfach zu groß. Die Sonderausstellung ihrer Werke findet im Gewölbe der Michaeiergruft statt.«
»Werden Sie heute Abend auch dort sein?«
»Bestimmt nicht. Meine Schwester legt keinen Wert auf meinen Besuch.« Lächelnd wandte sie sich von Hogart ab und Tatjana zu. »Aber für Ihre Werkmappe müssen Sie keine derartig schweren Ölgemälde anfertigen. Falls Sie es wünschen, können Sie nächste Woche gern an einigen Vorlesungen als Gasthörerin teilnehmen - sofern Ihre Eltern damit einverstanden …«
»Oh, mein Vater ist geschieden«, unterbrach Tatjana sie.
Bohmann warf Hogart einen längeren Blick zu und zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass sie ihn von oben bis unten musterte. Während er noch überlegte, ob die Dozentin ledig, verheiratet oder mit einem Lebensgefährten liiert war, sprudelten aus Tatjana haarsträubende Details, die sie über sich und ihre Familie erfand.
»Nachdem meine Mutter uns verlassen hatte und mit ihrer Freundin nach Amsterdam gezogen war, um dort einen Laden für Duftöle, Skulpturen und Holzmarionetten zu eröffnen, war ich mit Vater allein … das ist jetzt sechs Jahre her.«
»Tatjana, bitte!«
Sie winkte ab. »Möglicherweise fließt in meinen Adern das künstlerische Blut meiner Mutter. Schon als Mädchen wusste ich, dass ich mehr aus meinem Leben machen wollte, als beispielsweise in einem Büro als Sekretärin zu enden. Sie verstehen das sicher, wenn der Drang in einem steckt, etwas Produktives aus seinem Leben zu machen, Ideen umzusetzen, Dinge zu schaffen, die es nicht gäbe, würde man sie nicht kreieren.«
Bohmann lächelte. Bestimmt hörte sie diese euphorischen Worte einer Jugendlichen nicht zum ersten Mal.
»Mein Vater ist Mechaniker, er restauriert Oldtimer«, sprudelte es weiter aus Tatjana hervor. »In gewisser Weise ist auch er kreativ, aber da gibt es einen Unterschied, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Tatjana!« Hogart packte sie am Arm. »Es genügt!« Nie mehr würde er dieses Luder irgendwohin mitnehmen.
»Lassen Sie Ihre Tochter ausreden.« Bohmann warf Hogart einen amüsierten Blick zu. »Es ist gut, wenn junge Leute voller Ideen und Tatendrang stecken. Vieles von dieser Euphorie wird ihnen im Lauf des Lebens sowieso genommen - zum Teil auch hier an der Akademie, denn selbst die Malerei ist ein Handwerk ähnlich der Restauration eines Oldtimers: ein Drittel Inspiration - zwei Drittel Transpiration. Viele, die als freie Künstler zu uns kommen, verlassen die Akademie vorzeitig, weil sie an der harten Arbeit verzagen.«
Bohmann holte ein großes Foto von ihrem Schreibtisch, das sie Tatjana reichte. »Das ist eine Aufnahme des Akademieballs vom letzten Jahr. Zu Beginn des Herbstsemesters bestand mein Seminar noch
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