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Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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aus zwanzig Teilnehmern. Mittlerweile haben acht davon das Handtuch geworfen.«
    Das Bild zeigte eine Gruppe Menschen aus den unterschiedlichsten Altersklassen, jeder Einzelne davon entweder in einem Anzug oder Abendkleid. In der Mitte der vorderen Reihe saß Linda Bohmann in einem Cocktailkleid mit Spaghettiträgern. Neben ihr stand eine Frau, die Hogart kannte.
    »Das ist doch die Gattin von Staatsanwalt Hauser?«
    Bohmann sah ihn überrascht an. »Sie kennen Friedhelm Hauser?«
    »Er ist …« Hogart unterbrach sich. »Seine Frau lässt ihren Wagen in meiner Werkstatt reparieren.«
    »Wie klein die Welt doch ist.« Bohmann schmunzelte. »Rektor Priola hat es sicherlich erwähnt, da er so viel Wert darauf legt: Unter den Studenten befinden sich nicht nur zur Kunst Berufene, wie ich sie bezeichne, sondern auch einige Mitglieder prominenter Familien. Anne Hauser ist eine davon. Sie besucht meine Kurse schon seit vielen, vielen Jahren.«
    Anne Hauser? Hieß die Frau tatsächlich so? Jetzt durfte er sich keinen Patzer erlauben. »Die Akademie hat einen guten Ruf«, versuchte er Bohmann zu schmeicheln.
    »Ach was!« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es ist viel eher so, dass die Malerei nun mal ein faszinierendes und anziehendes Metier ist, gleichgültig woher man stammt.«
    »Wie sind Sie zur Malerei gekommen?«, unterbrach Tatjana sie.
    »Ich möchte Sie nicht langweilen, mein Kind - nur so viel: Ich verspürte einen ähnlichen Drang wie Sie, nur ging es mir nie darum, eine Karriere anzustreben oder Werke für andere zu erstellen, sondern etwas aus mir herauszulassen. Die Motivation war eine andere als bei Ihnen: Mir ging es nicht um den kreativen Schaffensprozess, sondern um Befreiung. Der Unterschied ist schwer zu erklären. Jedenfalls studierte ich Kunst, schrieb eine Dissertation über Dali, nahm einen Assistentenjob an der Akademie an und hatte bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr alles an Ideen und Eindrücken aus mir herausgeholt, um - wie ich es immer bezeichne - einen runden Menschen aus mir zu machen. Mit den Jahren ging der Drang zu malen verloren und ich widmete mich mehr und mehr den Studenten.«
    »Hatten Sie das Gefühl, Sie seien ausgebrannt?«, fragte Tatjana.
    »Ausgebrannt?« Bohmann dachte nach. »Das ist nicht das richtige Wort - viel eher war ich innerlich leer. Allerdings leer im Sinne von vollendet. Kennen Sie den Ausspruch: Malen, um zu leben? Mit dreißig waren alle Baustellen abgeschlossen. Ich hatte alle Themen abgehakt, die mich ein Leben lang beschäftigten, und nun waren sie von der Bildfläche verschwunden. Wie hat es Schönberg so treffend formuliert? Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen. Und ich musste nicht mehr malen. Was übrig blieb, war die Gelegenheit, meine Erfahrungen, die ich gesammelt hatte, in Form von Vorlesungen, Seminaren, Kursen und Übungen an meine Studenten weiterzugeben.«
    Hogart merkte an Tatjanas unschlüssigem Blick, dass sie nicht wusste, ob sie etwas darauf sagen durfte oder nicht - doch Bohmann nahm ihr die Entscheidung ab. »Fragen Sie ruhig.«
    »Ich bin mir nicht sicher, aber für mich hört es sich ein wenig an, als seien Sie verbittert darüber, dass Sie die Notwendigkeit des Malens verloren haben.«
    Bohmann lachte, und in diesem Lachen hörte Hogart, dass diese Frau keinerlei Verbitterung in sich trug, und das, obwohl sie ihr Leben in einem Rollstuhl fristete.
    »Verbittert ist der falsche Begriff«, sagte Bohmann. »Aber Sie sprechen eine Nuance an, die nur wenige an mir bemerken. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt, aber ich bin ein Mensch, der nur schwer Vertrauen zu anderen fassen kann. Die Eigenschaft, ungern Kompromisse einzugehen und immer alles infrage zu stellen, bringt ebenfalls einige Schwierigkeiten mit sich.«
    »Aber wenn etwas nicht passt, muss es raus«, pflichtete Tatjana ihr bei.
    »Natürlich. Viele Kolleginnen - einsame und introvertierte Künstler - schleppen ihr gesamtes Leben mit sich herum und nehmen es am Ende mit ins Grab. So gesehen bin ich die atypische Vertreterin an dieser Akademie.«
    Tatjana schmunzelte. »Ich glaube, wir kämen gut miteinander aus.«
    Bohmann zwinkerte ihr zu. »Bestimmt sogar.«
    Hogart war nicht nur beeindruckt, weil er eine derart souveräne Frau kennengelernt hatte, die mit ihr Unbekannten so offen und unkompliziert über sich selbst sprechen konnte, sondern auch, weil er eine völlig neue Seite an Tatjana bemerkte. Wenn er sie so betrachtete, war sie viel mehr

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