Die Engelsmuehle
gerissen. Etwa einen Meter über ihm verliefen mehrere schwere Holzbalken, die in den Steinwänden verschwanden. Der Raum war mit mannshohen Staffeleien ausgestattet. Auf den Tischen dazwischen stapelten sich Stofffetzen, Spachtel, Einmachgläser, Farbpaletten und Pinsel in den unterschiedlichsten Größen.
Hogart erinnerte sich, was ihm Madeleine in der Galerie erzählt hatte. »Du sagtest, du fühlst dich wie ein Fisch im Sand?«
»Daran erinnerst du dich?«
»Phänomenales Gedächtnis.« Grinsend tippte er sich an die Stirn, während er die fünf Malerstaffeleien im Raum betrachtete. Weiter hinten lehnten weitere Gemälde an der Wand. »Das sieht nicht so aus, als hättest du eine Schaffenskrise.«
»Mit Ausnahme eines einzigen Werks gibt es hier nur Entwürfe, Skizzen, Fragmente, und wie es im Moment aussieht…« Sie seufzte.
»Du hast doch Talent, eines Tages wirst du sie beenden.«
»Im Entwurf zeigt sich das Talent«, korrigierte sie ihn, »aber in der Ausführung die Kunst.« Mit einem Mal klang sie nicht mehr so von sich überzeugt wie noch vor Stunden in der Galerie. Es schien, als bröckle ihre Fassade langsam ab, worunter die wahre Madeleine zum Vorschein kam.
»Was hindert dich daran, die Bilder fertig zu malen?«
»Ein Künstler ringt nie mit seinem Werk, sondern mit dem, was ihn daran hindert.« Sie wandte sich um. »Belassen wir es einfach dabei.«
Die unmittelbar neben Hogart auf den Keilrahmen gespannte Leinwand zeigte den missgestalteten Fötus eines menschlichen Kindes. Obwohl er kaum eine Strichzeichnung von moderner Kunst unterscheiden konnte, erkannte sogar er, dass das Gemälde nur zur Hälfte fertiggestellt war - und dass Madeleine für diesen neuen Zyklus tatsächlich veränderte Motive und alternative Techniken verwendete. Die Bilder waren heller, bunter und präziser gemalt, aber trotzdem morbider als alles andere, was er bisher von ihr gesehen hatte.
»Es ist mit deinen vorherigen Bildern nicht zu vergleichen - zumindest die Farben erinnern mich an die moderne Malerei deiner Schwester.«
»Was heißt schon moderne Malerei?«, fragte sie. »Es gibt moderne Krawatten, moderne Schuhe, moderne Kleider, aber Kunst unterliegt niemals den Ansprüchen der Mode. Kunst entsteht hier drinnen.« Sanft nahm sie seine Hand und berührte mit seinen Fingern ihre Schläfe. »Meine Schwester hat keine Ahnung davon.«
»Sie hat immerhin Kunst studiert«, gab Hogart zu bedenken.
»Ja, stimmt«, fauchte Madeleine. »Während sie ihr Studium an der Kunstakademie mit Auszeichnung abschloss, brach ich es nach dem vierten Semester ab.«
Sie blickte einen Augenblick zur Decke, dann erzählte sie, dass sie einige Jahre als Setzerin in der Druckerei ihres Vaters und später als Layouterin im Verlagshaus gearbeitet hatte. Zwar war sie die Tochter des Chefs, blieb aber trotzdem immer nur Mädchen für alles, während Linda von ihrem Vater vor allen Kunden und Freunden stets als erfolgreiche Malerin gelobt wurde. Bald hatte Madeleine die Nase voll, kündigte und machte sich als freischaffende Künstlerin selbstständig. Natürlich hatte ihr Vater kein Verständnis dafür, sah er doch in ihr die Versagerin, die das Studium abgebrochen hatte. Irgendwann hätte sie im Verlag bestimmt in seine Fußstapfen treten sollen, doch die Entscheidung, eigene Wege zu gehen, änderte alles.
Ohne einen Cent Unterstützung durch ihren Vater hauste Madeleine zunächst in Wohngemeinschaften und lebte von Stipendien und der Sozialhilfe. Ihre Förderungsanfragen wurden meist abgelehnt, dennoch schrieb sie jeden Monat ihre Standardbriefe, da sie von irgendetwas leben musste. Von Zeit zu Zeit wurde sie von Vereinen oder befreundeten Kollegen aus dem ehemaligen Ostblock eingeladen, wo sie für Unterkunft und Essen Lehrgänge hielt. Seit dem Tod der Eltern liefen ihre Ausstellungen in einigen Galerien in Wien, Prag und Budapest einigermaßen gut, sodass sie sich ihren Golf und die Erhaltung der Mühle leisten konnte. Im Gegensatz dazu hatte Linda nie im Verlagshaus ihres Vaters arbeiten müssen. Obwohl sie sich unmittelbar nach dem Studium als Künstlerin selbstständig gemacht hatte, genoss sie den höheren Stellenwert bei ihren Eltern.
»Linda feierte unglaubliche Erfolge als Malerin, wurde als eines der größten Nachwuchstalente bejubelt und erlangte einen Ruf, den ich wohl nie erreichen werde.« Madeleine blickte Hogart an. »Ich finde, wir haben bereits genug über sie gesprochen.«
Eigentlich hatte nur sie über Linda
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