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Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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gefährlichen Schluchten. Auf dieser Straße gab es eine Stelle, die ihm Madeleine ausführlich beschrieben hatte. Ein Plateau, das von Busfahrern als Umkehrplatz benutzt wurde. Der alte Strommast in der Mitte war schwarz vom Teer und brummte wie eine Hummel.
    Kurz vor elf Uhr nachts wartete Hogart an jener Stelle und starrte in die Schlucht hinunter. Die Straßenbeleuchtung war teilweise ausgefallen, nur eine einzige Lampe flimmerte ab und zu. Das Licht spiegelte sich in einem neuen Stück Leitplanke, das inmitten der rostigen, verbeulten Straßenabsperrung eingesetzt worden war. Bestimmt hatte diese Stelle vor Jahren ein Wagen durchbrochen. Als die Beleuchtung endgültig ausfiel, sah Hogart, wie sich das Mondlicht im Fluss spiegelte. Die Donau schmiegte sich wie ein funkelndes schwarzes Band um die Felsen am Fuß des Berges, von wo aus sie träge durch die Landschaft floss. In diesem Moment hatte der Anblick des nächtlichen Wasserlaufs nichts mehr mit der viel besungenen schönen blauen Donau gemein. Viel eher wirkte der Strom wie ein Ausfluss, der die Pest ins Land trug.
    Ein kühler Wind wehte von der Schlucht empor und rauschte durch die Bäume jenseits des Straßenbanketts. Es roch nach Nadeln und feuchter Erde. Als ein Käuzchen im Wald schrie, machte Hogart einen Schritt näher an den Abgrund heran und starrte mit zusammengekniffenen Augen die Böschung hinunter. Zwanzig Meter unter ihm spiegelte sich das Mondlicht zwischen den Bäumen in einer Glasscheibe oder einem Metallstück. Vermutlich lag das Autowrack, welches die Planke durchschlagen hatte, immer noch dort unten.
    Hogart sah sich um. Das Lichtermeer der Stadt, welches sich bis zum Horizont erstreckte, war durch feinen Nieselregen getrübt. Blitze zuckten hinter der Wolkenbank, die über der Stadt hing. Sekunden später grollte das Echo des Donners dumpf durch das Tal. Das Sommergewitter hatte lange auf sich warten lassen. Nun war es da und würde innerhalb der nächsten halben Stunde die ersten Ausläufer des Wienerwaldes erreichen.
    Hogart fröstelte. Seine Hände steckten in den Hosentaschen, die Finger trommelten auf dem Feuerzeug und der Zigarettenpackung für Notfälle. Sollte er eine Stuyvesant rauchen? Endlich sah er das Aufblitzen von Autoscheinwerfern, die sich wie Leuchtkäfer die Serpentinen zum Plateau hochwanden. Er blickte auf die Uhr. Falls es bereits Madeleine war, kam sie fünf Minuten zu früh. Sie hatten sich für 23.00 Uhr an dieser Stelle verabredet. Weiter konnte sie Hogart den Anfahrtsweg zu ihrem Haus nicht erklären, da er so verwinkelt war, dass Hogart ihn selbst mit der besten Wegbeschreibung nicht gefunden hätte.
    Von Weitem hörte er, dass der herannahende Wagen nicht mehr als fünfzig PS haben konnte, und schließlich erreichte ein alter schwarzer Golf das Plateau. Es war Madeleine. Sie blinkte ihn mehrmals mit der Lichthupe an. Er stieg in seinen Wagen und folgte ihr.
    Madeleine fuhr die Höhenstraße weiter hinauf, zweigte aber an einer unscheinbaren Stelle zwischen zwei Föhren in einen Waldweg ab, den Hogart tatsächlich nie gefunden hätte. Von da an fuhr sie in engen Zickzack-Kurven über den von Wurzeln bedeckten Weg, da sie den Schlaglöchern auswich, die noch immer vom Regenwasser des letzten Gewitters voll waren.
    Was für eine Gegend. Selbst Leute, die ein Leben in einem einsamen Landhaus bevorzugten, würden in dieser Umgebung versauern. Für Hogart, der den Trubel der Menschen um sich brauchte, wirkte dieser Ort so einladend wie ein Friedhof.
    Nach wenigen Minuten kamen sie mitten im Wald an einen Zaun mit einem schmiedeeisernen, zwei Meter hohen Tor. Das Scheinwerferlicht spiegelte sich in einem Blechschild. Nur . undeutlich waren die abgeblätterten Buchstaben zu lesen.
     
    Privatbesitz der Familie Bohmann
    Zufahrt verboten
     
    Ein Tor von diesem Ausmaß ließ mindestens eine Burg jenseits des Zauns vermuten, doch Hogart bezweifelte, dass dieser Wald mehr als eine einsame Hütte zu bieten hatte.
    Madeleine verließ ihren Wagen, um das Eisengitter zu öffnen. Danach lenkte sie ihr Auto die Zufahrt hinauf, um unter einigen verkrüppelten Föhren zu parken. Hogart stellte seinen Wagen neben den Golf. Für einen Moment wurde das Plateau vom Mond beschienen, der kurz darauf wieder hinter den Regenwolken verschwand.
    Inmitten des von Bäumen umgebenen Platzes stand ein aus groben Steinen gemauerter Brunnen. Ein Fußweg führte daran vorbei zu einem Holzschuppen und einem Kohlenkeller, der in den Berghang

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