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Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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die Fußböden verfaulten und es wuchsen Efeu und Disteln in die Räume hinein. Man erzählte sich, dass unter all dem Unkraut keine einzige Blume zu sehen war und kein Vogel je sein Nest in der Nähe der Mühle gebaut hatte. Man sagte, es spuke in der Engelsmühle.« Sie sah ihn warnend an. »Und fragen Sie mich bloß nicht, ob ich auch daran glaube.«
    »Warum erzählen Sie es dann?«
    »Es passt zur Stimmung.«
    Hogart fröstelte, allerdings mehr wegen der Kälte. »Warum heißt die Mühle so? Nach Ihrer Beschreibung wirkt der Ort nicht gerade, als hätte er viel mit Engeln zu tun.«
    »Bevor mein Vater die Mühle und das umliegende bewaldete Grundstück in den Sechzigerjahren gekauft hatte, lebte eine Greisin, eine ehemalige Hebamme, in dem Haus. Man erzählte sich, sie wurde aus dem Ei einer schwarzen Henne ausgebrütet. Die Alte hieß Anna … die Engelmacherin vom Kahlenberg.«
    Sie betonte den letzten Satz so, als müsse Hogart der Begriff etwas sagen, doch er hatte den Namen noch nie gehört.
    »Eine Engelmacherin?« Er zögerte. »Eine Frau, die Kinder abtrieb?«
    Madeleine nickte. »Wer sich ein Baby wegmachen lassen wollte, musste den Berg hinauffahren … und in der Nachkriegszeit wurden viele Kinder abgetrieben. Mit dem Geld, das sie dafür bekam, ließ die alte Anna die Mühle renovieren. Eine traurige Geschichte, nicht wahr?« Sie blickte kurz zur Mühle empor. »Sie lebte über zwanzig Jahre im Keller des Gemäuers. Man fand ihr Tagebuch in einem hohlen Stein. Würde man für jedes ermordete Kind eine Kerze aufstellen, wäre dieser Hügel jede Nacht hell erleuchtet.« Ihre Stimme wurde leiser. »Im Winter sieht man oft die Spuren kleiner nackter Füßchen im Schnee. Sie führen zum ausgetrockneten Flussbett.«
    Hogart schwieg. Er wusste nicht, ob sie das soeben Gesagte ernst meinte oder ob sie es bloß erfand, weil es zur Stimmung passte. »Wie lange leben Sie schon hier?«
    »Ich bin hier aufgewachsen, es ist mein Elternhaus. Vater besaß einen Zweitwohnsitz in der Stadt, in der Nähe des Donauturms. Aber seit dem Tod unserer Eltern lebe ich allein hier, und Linda ist in die Stadt übergesiedelt.« Sie nickte zu dem Steinsockel. »Unter der Mühle gab es früher ein Gasthaus. Heute ist es mein Atelier. Nachts male ich beim Schein der Petroleumlampen.
    Oben liegen die Wohnräume. Alles wirkt ziemlich alt - ist es ja auch -, aber Vater ließ Strom und fließend Wasser von der Höhenstraße heraufleiten. Es lebt sich also recht komfortabel.«
    Sie standen eine Weile schweigend unter dem Türstock der Holzhütte und blickten in die Nacht. Die Blitze wurden immer weniger, der Donner entfernte sich, und schließlich hörte es auf zu regnen. Bloß der Wind brachte die Föhren zum Rauschen.
    »Gehen wir?« Hogart machte einen Schritt nach draußen.
    »Vorsicht!« Madeleine packte ihn am Sakkoärmel und zog ihn zur Seite. Er stolperte zurück und landete mit dem Rücken am Türstock. Madeleine war ganz nah bei ihm, sodass er wieder ihren Atem im Gesicht spürte.
    »Marderfallen«, flüsterte sie.
    Hogart spähte zu Boden. Er wäre beinahe in eine Falle getreten.
    »Die kleinen Teufel sind überall, nagen die Leitungen an und fressen sich durch die Kabel im Motor.«
    Madeleine machte keine Anstalten, ihn gehen zu lassen. Sie näherte sich seinem Gesicht. Unwillkürlich legte er seinen Arm auf ihre Hüfte. Er spürte die volle, weibliche Rundung und sein Glied wurde wieder hart.
    Sie berührte seine Brust und trippelte mit spitzen Fingern wie eine Maus über seinen Hals zum Kinn. »Flink sind sie. Mit kleinen, spitzen Zähnen nagen sich die Biester überall durch.«
    Sie presste sich näher an ihn heran. Er spürte ihren Busen auf seiner Brust. »Ich kenne nicht einmal deinen Namen.«
    »Peter«, antwortete er, da sie plötzlich begonnen hatte, ihn zu duzen.
    »Peter, der Automechaniker, rrrarrr …« Sie schnurrte wie eine Raubkatze. Plötzlich löste sie sich von ihm. »Ich wollte dir doch etwas zeigen. Komm mit.«
    Während Hogart noch am Türrahmen lehnte und ihr nachsah, lief sie mit den Stöckelschuhen den nassen Weg zur Mühle hinauf.

10
     
    In dem Atelier war es kühler als draußen. Die dicken Steinmauern speicherten die Kälte wie eine Gefriertruhe. Zudem roch es nach Holz und Kalk.
    Während Hogart versuchte, etwas in der Dunkelheit zu erkennen, entzündete Madeleine einige Petroleumlampen, die an Ketten unter der Zimmerdecke baumelten. Der große Raum wurde Stück für Stück aus der Schwärze

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