Die Engelsmuehle
er sich an den Steinbrunnen und blickte zum Nachthimmel. Das Gewitter hatte sich verzogen. Einige Sterne funkelten am Firmament. Das Mondlicht spiegelte sich in den Wasserlachen.
Im Atelier brannten immer noch die Petroleumlampen und hinter den Fensterläden schimmerte das Licht aus Madeleines Wohnzimmer. Er wollte nichts auf der Welt mehr, als mit dieser Frau schlafen, aber sie war absolut verrückt. Beängstigend verrückt.
Hogart fingerte die Zigarettenpackung aus der Hose und riss die Folie ab. Er steckte sich eine Stuyvesant an - die erste seit drei Monaten.
11
Um sieben Uhr morgens lag feiner Nebel über dem Rasen des Schönbrunner Schlossparks. Der Asphalt und die Schotterwege glänzten vom nächtlichen Gewitterregen.
Hogart beendete seine Joggingrunde, die am Schloss vorbeiführte, dem Tiergarten, dem alten Bad und der Maria-Theresien-Kaserne. Die frische Luft vertrieb seine Kopfschmerzen. Eigentlich sollte er wegen seines Beckenschiefstands orthopädische Schuheinlagen mit einem fünfzehn Millimeter hohen Keil tragen, doch davon bekam er nur noch größere Hüftschmerzen. Außerdem hasste er Ärzte genauso wie Krankenhausbesuche. Durch regelmäßiges Joggen und die anschließenden Dehnungsübungen hatte er seine Wirbelsäulenprobleme auch ohne Einlagen im Griff - vorausgesetzt er lief regelmäßig.
Als Hogart in die Tivoligasse einbog, entfernte sich gerade ein Polizeiwagen von dem Eingang seines Wohnhauses. Sein Timing hätte nicht besser sein können. Die Beamten waren bestimmt nicht wegen den im Treppenhaus pennenden Diskothekenbesuchern hier gewesen. Seit gestern versuchte Garek, ihn zu erreichen, doch Hogart wusste noch zu wenig über das Videoband, um es der Kripo auszuhändigen.
Nachdem er geduscht hatte und in bequeme Jeans und ein Poloshirt geschlüpft war, nahm er den Vertrag von Medeen & Lloyd aus dem Faxgerät. Er überflog das Honorar und die Punkte mit den Nebenkosten, die er mit Kohlschmied ausgehandelt hatte, unterzeichnete den Vertrag und faxte ihn zurück. Höchste Eisenbahn, mit den Recherchen wegen des Brands in der Gebietskrankenkasse zu beginnen. Doch zuvor kochte er sich eine Tasse starken, schwarzen Kaffee, die er auf dem Balkon trank. Die Titelseite der Morgenausgabe berichtete immer noch über den Mord an Doktor Abel Ostrovsky, doch es stand nichts Neues darin. Hogart rauchte eine Zigarette, während er versuchte, den Artikel zu lesen, doch seine Gedanken kehrten immer wieder zu Madeleine Bohmann zurück. Dieses Teufelsweib verstand es genauso, ein Bild zu malen wie einem Mann den Kopf zu verdrehen oder ihn in den Wahnsinn zu treiben.
Als Hogart den Kulturteil überblätterte, läutete es an der Tür. Es war Kurt, der wieder mal seine Morgentermine abgesagt hatte. Er trug die gleiche saloppe Kleidung wie am Vortag. Hogart ahnte bereits, was er hier wollte. Tatjana hatte ihrem Vater von dem Besuch in der Michaeiergruft erzählt, und nun wollte er wissen, wie es im Haus der Künstlerin gelaufen war. Sie gingen auf den Balkon, während Hogart die wichtigsten Details berichtete.
Als er endete, schien Kurt regelrecht enttäuscht. Er lehnte an der Balustrade und blickte auf die Straße. »Du warst tatsächlich in ihrer Mühle und hattest keinen Sex mit ihr?«
»Nicht jeder ist so scharf auf eine Nummer wie du.«
»Ja, aber du warst bei ihr zu Hause. Großer, ich mach mir ernsthafte Sorgen um dich.«
Hogart wusste, die heitere Laune seines Bruders war bloß aufgesetzt. Er deutete auf das Titelbild der zusammengeklappten Zeitung. »Mach dir lieber Sorgen um Ostrovskys Mörder.«
Schlagartig wurde Kurt ernst. »Ich lag die halbe Nacht wach«, gab er zu. »Deine ganzen Recherchen und so … mir wird die Sache zu heiß. Meinst du nicht, wir sollten zur Polizei gehen?«
»Früher hättest du anders gehandelt«, antwortete Hogart.
»Damals hatte ich weder Familie noch einen Ruf als Chiropraktiker zu verlieren.«
»Ich kann sowieso nicht ewig an der Sache dranbleiben. Ich muss heute noch andere Dinge erledigen, aber gib uns noch eine Stunde Zeit.« Hogart steckte sich eine Zigarette an.
»Du Schlaumeier rauchst also auf dem Balkon!«, stellte Kurt erstaunt fest.
»Seit gestern Abend.«
»Details?«
»Später. Fahren wir in das physiotherapeutische Zentrum, in dem das Video gedreht wurde«, schlug Hogart vor. »Reden wir mit diesem Doktor Dornauer und versuchen herauszufinden, was es mit diesem Film auf sich hat.« Er hatte sich das Video letzte Nacht noch einmal angesehen,
Weitere Kostenlose Bücher