Die Engelsmuehle
Ihre Hände zitterten. »Verstehst du das Dilemma? Ich bin nur die Zweitgeborene«, spie sie aus. »Ich habe das Studium abgebrochen und sogar im Verlag meines Vaters das Handtuch geworfen.«
»Es tut mir leid, ich wollte …«
»Willst du wissen, weshalb ich ein Foto von ihr habe? Es erinnert mich daran, wie viel man erreicht, wenn man die Gefühle der Menschen ausnützt. Als die Kuh noch malte, verkaufte sie auf einer einzigen Ausstellung mehr Gemälde als ich in einem ganzen Jahr. Trotzdem hat sie ihre Malerkarriere an den Nagel gehängt und unterrichtet nur noch an der Luttenberger Akademie in der Innenstadt, während ich Hunderte Kilometer mit dem Zug fahren muss, um vor einem Dutzend Tschechen einen Malkurs abzuhalten. Und weißt du, woran das liegt?« Ohne eine Antwort abzuwarten, redete sie weiter. »Weil der Krüppel im Rollstuhl sitzt. Alle lieben sie. Damit ist sie eine Besonderheit, der Tür und Tor offen stehen. Und sie weiß, wie sie die Sympathien der Menschen an sich reißt.«
Die Worte klangen nach einer krankhaften Mischung aus Hass und Eifersucht.
Madeleine sah Hogart scharf an. »Ich weiß, dass auch du auf sie stehst. Sieh mich nicht so an! Denkst du, ich erkenne es nicht an deinem Blick, mit dem du ihr Bild anstarrst. Alle stehen auf sie. Das ist nichts Neues. Aber du kannst sie nicht ficken!«, zischte sie. »Du kannst höchstens mich flachlegen und dir dabei ihr Bild vor Augen halten. Denn bei Linda bist du ein paar Jahre zu spät. Ihre Fotze ist so trocken und hohl wie ein alter Baumstamm.« Sie hatte sich in eine wilde Euphorie geredet und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
Hogart antwortete nichts darauf. Er war wie vor den Kopf gestoßen. Trotzdem war ihm ein Detail nicht entgangen.
»Sie ist nicht von Geburt an querschnittgelähmt?«, fragte er.
Madeleine lachte schrill auf. »Die Kuh ist gestolpert und die Treppe runtergestürzt - jene Treppe, die du vom Atelier selbst raufgegangen bist. Der Lendenwirbel war gebrochen, die Nerven glatt durchtrennt. Da hilft nicht einmal mehr die Heilige Jungfrau Maria.«
»Mein Bruder sitzt auch im Rollstuhl - Autounfall«, log Hogart. »In welchem Krankenhaus war Linda Patientin?«
Zunächst glaubte er, dass Madeleine die Frage gar nicht gehört hatte. Doch schließlich starrte sie ihn an.
»Früher war sie alle paar Jahre mal drei bis vier Wochen im Weißen Hof. Angeblich bekam sie dort eine gute Physiotherapie.«
»Dann kannte sie bestimmt Ostrovsky«, vermutete Hogart, obwohl er noch nie vom Weißen Hof gehört hatte.
Madeleine schwieg. Hogart bemerkte keine Reaktion in ihrem Gesicht. Unverändert starrte sie an ihm vorbei ins Nichts, als erfüllte sie jetzt eine neuerliche Leere, nachdem sie allen Dampf abgelassen hatte.
»Wer ist das?«, fragte sie schließlich.
»Ostrovsky?«, fragte Hogart. »Einer der besten Neurochirurgen. Er hat damals meinen Bruder zusammengeflickt.«
»Wie kommst du darauf, dass sie ausgerechnet diesen Typ kennt?«
»Kannte«, korrigierte er sie. »Er starb am Wochenende. Die Zeitung schrieb über seine brutale Ermordung.«
»Niemand lebt ewig.« Sie füllte ihr Glas und leerte es in einem Zug, als wollte sie ihre miese Laune mit Sekt runterspülen. »Meine Meinung war schon immer, dass die Gesellschaft die Verbrecher hat, die sie verdient.« Im nächsten Moment wurde ihr abwesender Blick wieder klar. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Haben wir das Thema Linda Bohmann nun endlich abgehakt?«
»Abgehakt! Bis auf eine Frage.«
Sie seufzte.
»Wann war ihr Unfall?«
Madeleine zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, Linda war damals etwas über zwanzig oder so.«
Hogart wusste, dass Linda ein Jahr älter war als er, ein vierundsechziger Jahrgang. »1988?«, fragte er.
Madeleine fixierte ihn. »Ja, das kommt hin. Warum zum Teufel interessiert dich das?«
Ein Schauer rieselte Hogart über den Rücken. Der Killer hatte ihre Unterlagen aus dem Elisabethspital gestohlen.
»Was ist mit dir? Willst du nun ficken oder nicht?«, fragte sie, als wäre nichts zwischen ihnen vorgefallen.
»Es ist spät.«
»Was?« Sie sah ihn mit einem ungläubigen Blick an. »Hast du nur am frühen Morgen Sex?«
Hogart war bei Gott nicht unflexibel, er war spontan und konnte verrückte Dinge tun, doch mit den Stimmungsschwankungen dieser Frau, die wie auf einer Achterbahn rauf und runter rasten, konnte er nicht mithalten. Er stand auf und nahm seine Sachen vom Glastisch.
Als er endlich draußen war, lehnte
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