Die Engelsmuehle
Dienstagabend war und sie noch nichts von ihm gehört hatte. Spätestens in zwei Tagen sollten konkrete Beweise für eine Brandstiftung vorliegen, da die Versicherung sonst zur Kasse gebeten werde.
Hogart hörte nur mit einem Ohr hin. Er starrte auf die Fotos, die der Pathologe von Ostrovsky und Dornauer gemacht hatte. Der pensionierte Primär war übel zugerichtet worden, aber Dornauers Leiche stellte alles in den Schatten, was er bisher gesehen hatte. Gesicht, Hals, Nacken, Schultern und Brust des Mannes waren mit einer Messerklinge bearbeitet worden. Der Killer hatte ihn regelrecht in Streifen geschnitten. Anschließend war der Leichnam tagelang im Wasser des Schwefelbeckens getrieben, bis ihn der Portier gefunden hatte. Dementsprechend aufgedunsen sah das Fleisch aus. Die Schnittwunden klafften auf, als wolle sich der Körper von innen nach außen stülpen.
»Hören Sie mir zu?«
»Ja, ich höre Sie«, murmelte Hogart. »Ich stecke mitten in den Untersuchungen. Es ist noch zu früh, um etwas Konkretes zu sagen.«
Er schob die Fotos auseinander. Auf einem Bild lag Dornauer mit dem Rücken auf den schäbigen Fliesen in der Badestube des Kellers. Sein gesamter Körper war malträtiert worden. Der Killer hatte keine Stelle ausgelassen. Dem Bericht des Gerichtsmediziners zufolge war Dornauer immer wieder mit Ohrfeigen, kalten Umschlägen und Riechsalz zu Bewusstsein geholt worden. Der Killer wollte etwas aus Dornauer herausbekommen. Die Foltermethode ähnelte jener in Ostrovskys Villa.
»Herr Hogart! Können Sie Ihre Ermittlungen bis Donnerstagabend abschließen?«, drängte Domenik.
»Ja«, antwortete er knapp.
»Ich melde mich morgen wieder bei Ihnen.«
»Ja, tun Sie das.« Er legte auf.
Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er Bartoldis Bericht über die Tatwaffe las. Der Mörder hatte kein Messer verwendet. Die Schnittverletzungen stammten von einer scharfen Papierschere. Länge und Breite der Klinge, die Tiefe der Schnitte und Stiche sowie der Winkel, mit dem die Schere Dutzende Male in Dornauers Körper eingedrungen war, ähnelten den Umständen des Ostrovsky-Mordes. Entsprechend den Hieben war der Killer groß und kräftig. Hogart befühlte seine Wunde auf dem Hinterkopf. Mit ziemlicher Sicherheit war er ihm vor Kurzem begegnet. Hogart fragte sich, weshalb ihn der Einbrecher nicht ebenfalls ermordet hatte. Möglicherweise konnte er sein Leben nur dem Umstand verdanken, dass der Dieb fand, wonach er gesucht hatte. Das Video.
Hogart widmete sich wieder den Unterlagen der Spurensicherung. Dornauer war ebenso wie Ostrovsky auf einer Folie gefoltert worden. Es gab weder Schuh- noch Fingerabdrücke, keine fremden Haare oder Hautteile am Tatort. Die medizinischen Befunde über die Harn-, Blut-, Leber-, Milz-, Lungen- und Gehirnproben fehlten noch. Doch Hogart interessierte ohnehin nur die Todeszeit, die der Pathologe aufgrund der verdauten Speisereste in Dornauers Magen auf 21.00 Uhr festgelegt hatte. Nach Bartoldis Meinung starb der Arzt Freitagnacht, etwa zwei Stunden nach dem Mord an Ostrovsky.
Der Rest war uninteressant - bis auf eine Sache: Wie schon bei Ostrovskys Leiche hatte der Gerichtsmediziner auch bei Dornauer die Einstiche zweier Nadeln in den Oberschenkeln festgestellt. Allerdings stammten sie von keiner Injektion, sondern von einem Geschoss. Der Killer hatte Dornauer eine hochkonzentrierte Dosis Botox mit einem Blasrohr verabreicht. Das Mittel wurde gewöhnlich gegen Krämpfe und Spastizität verwendet. Es blockierte die Nervenimpulse, wodurch sich die Muskeln nicht mehr wie gewohnt anspannen ließen. Hoch dosiert wirkte es wie ein Lähmungsgift, das auf der Stelle bewegungsunfähig machte.
Gemäß der toxikologischen Untersuchung waren die Spuren in Dornauers Blut so hoch, dass er nach den Einstichen nicht mehr aufrecht stehen konnte. Hilflos war er den Attacken durch die Schere ausgeliefert gewesen. Daher hatte die Kripo am Tatort keine Spuren eines Kampfes feststellen können und weder Blut, Schweiß, Haare oder Hautfetzen unter Dornauers Fingernägeln gefunden. Als Todesursache wurde allerdings nicht der schwere Blutverlust festgestellt. Dornauers Tod trat durch Atemlähmung ein. Offensichtlich hatte der Killer die Dosis des Gifts zu hoch angesetzt. Vermutlich war Dornauer sogar früher als geplant gestorben. Anschließend war der Leichnam von den Fliesen in das Schwefelbecken gekippt worden.
Hogart wusste, dass Botox nicht wie Aspirintabletten in den Verkaufsregalen der
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