Die Engelsmuehle
Apotheken lag. Normalerweise lagerte dieses Gift nur unter Verschluss in Krankenhäusern, die über eine plastische Chirurgie oder eine neurologische Abteilung verfügten. Wahrscheinlich konnte man hoch dosiertes Botox nicht einmal auf dem Schwarzmarkt kaufen. Man musste schon Arzt sein, um an dieses Konzentrat ranzukommen … oder zumindest ein Chiropraktiker wie Kurt. Hogart bekam ein flaues Gefühl im Magen. Das Parkemed wirkte noch immer nicht, seine Kopfschmerzen pochten lauter denn je.
Als er die Unterlagen zusammenschob, stieß er auf die Telekomliste mit Dornauers Gesprächen aus der Mordnacht, die er sich vergeblich über Lisa organisieren wollte. Am Freitagnachmittag hatte Dornauer nur ein einziges Telefonat geführt, und zwar mit Primär Abel Ostrovsky. Hogart war ohnehin klar, dass sich die beiden Ärzte kannten, denn aus welchem Grund hätte Ostrovsky sonst ein Videoband aus Dornauers Klinik besitzen sollen? Doch lohnte es sich, für so ein Video zwei Morde zu begehen? Oder für ein Blatt Papier?
Hogart kramte das Überstellungsprotokoll aus der Hosentasche, das er aus dem Papiercontainer der Reha-Klinik gefischt hatte. Das Dokument stammte vom Mai 1987. Es ging um einen damals noch jungen Burschen, der nach einem Motorradunfall von der Chirurgie des Kaiserin-Elisabeth-Spitals zur Nachbehandlung in die Dornauer-Klinik überwiesen worden war. Ein gewisser Doktor Alfred Faid hatte das Protokoll unterzeichnet. Mehr gab es auf dem Blatt nicht zu lesen. Hogart starrte auf die Unterschrift. Bei dem Namen klingelte etwas in seiner Erinnerung. Eddie Seidl, der junge Archivar aus dem Krankenhaus, hatte ihm etwas über diesen Doktor Faltl erzählt. Angeblich war Faid ein versoffener und hundsmiserabler Unfallchirurg gewesen. Doch immerhin hatte er das Archivierungssystem erfunden, nach dem Seidl heute immer noch ablegte. Die Faltl-Methode, direkt aus der Steinzeit!
Womöglich hatte Faltl damals alle Überstellungsprotokolle unterzeichnet, auch jenes, das aus der Reha-Klinik gestohlen worden war - und plötzlich sah er den Zusammenhang: Sowohl Ostrovsky als auch Dornauer interessierten sich für bestimmte Akten aus dem Jahre 1988. Beide wurden zu Tode gefoltert. Irgendetwas sollte vertuscht werden, und der einzige Hinweis darauf befand sich vermutlich auf der Videokassette, die Hogart nicht mehr besaß. Der alte versoffene Doktor Faid war im Moment der Einzige, der Licht in die Sache bringen konnte. Mit etwas Glück würde Hogart ihn finden, und vielleicht war er sogar nüchtern.
14
Eine halbe Stunde später fuhr Hogart mit dem Wagen durch den zwölften Wiener Gemeindebezirk. Die Gegend war genauso schäbig wie der Asphalt löcherig. Die grauen Wohnhausanlagen am Schöpfwerk reihten sich endlos wie unbewohnte Bunker aneinander. Ein Gebäude sah aus wie das andere, mit roten Backsteinkaminen, vom Regen fleckigen Dachschindeln und verzogenen Fensterrahmen, dahinter vom Zigarettenrauch gelb gewordene Vorhänge.
Obwohl es gestern Abend geregnet hatte, war der Rasen zwischen den Wohnhäusern von der Sonne verbrannt. Unkraut wucherte auf den Gehwegen zwischen den Pflastersteinen. Die Hausmeister kümmerten sich nur alle heiligen Zeiten um die Anlage. Kaum zu glauben, dass hier ein ehemaliger Arzt lebte. Die Gegend sah eher aus, als würden hier Fabrikarbeiter mit Mindestlohn wohnen.
Es war nicht einfach gewesen, an Fahls Wohnadresse heranzukommen. Eddie Seidl wollte zunächst nicht mit Hogart reden. Er wusste bereits, dass Hogart nicht bei der Kripo arbeitete, sondern bloß als Versicherungsdetektiv seine Brötchen verdiente. Um die dröhnende Musik aus dem Hintergrund zu übertönen, brüllte Eddie in den Hörer. Doch selbst ohne Rockmusik hätte er wahrscheinlich kein bisschen leiser gesprochen. Er beruhigte sich erst, als Hogart ihm versicherte, dass ihn keine Auskünfte über den Einbruch im Archiv oder über Primär Ostrovsky interessierten. Er wollte lediglich über den alten Arzt sprechen, der das Ablagesystem der Akten entwickelt hatte. Laut Eddies Angaben war Alfred Faltl ein schlampiger Turnusarzt gewesen, zumindest hatte man sich das im Krankenhaus erzählt. Obwohl Faltl auch als Assistenzarzt nicht gerade geglänzt hatte, brachte er es trotzdem bis zum Oberarzt der Unfallchirurgie. Zu seinen Aufgaben zählte unter anderem die bürokratische Abwicklung sämtlicher Überstellungen in Reha-Zentren oder physiotherapeutische Privatkliniken. Zum Primär hatte es Faltl nie geschafft. Er war stets
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