Die Engelsmuehle
lassen, dass Hogart ihn in diese Misere gebracht hatte, und für Mutter war das ein gefundenes Fressen. Ihr jüngerer Sohn war ihr Ein und Alles - er hatte studiert, eine Familie gegründet, eine bezaubernde Tochter bekommen, besaß in einem Gebäude der Innenstadt eine zweistöckige Wohnung mit eigener Praxis sowie eine Klientel von Hofratswitwen, die Mutter ab und zu erzählten, wie hervorragend Kurts Behandlungen waren. Altweibergewäsch! Und jetzt musste sie von einem bärbeißigen Kripobeamten erfahren, dass sie nicht einmal mit ihrem eigenen Sohn telefonieren durfte, weil er wegen Mordes verhört wurde. Mit etwas Pech berichtete die Abendausgabe der Zeitung bereits über diese Verhaftung.
Kurz nachdem er die Nachricht gelöscht hatte, klingelte sein Handy. Tatjana. Sie saß gerade mit Sabina und Hogarts Mutter im Besucherraum der Rossauer Kaserne. Ein Trio Fatal, das nicht schlimmer sein könnte. Hogart war klar, dass man sie nicht mit Kurt sprechen lassen würde. Aber Dr. Fliesenschuh, Kurts Anwalt, hatte sich für neun Uhr abends angekündigt, um sie über den Sachverhalt aufzuklären. Tatjana meinte, es wäre besser, wenn Hogart hinzukommen könnte, zumal er den Mann kannte. Eigentlich hatte er keine Lust, seiner Schwägerin und seiner Mutter zu begegnen. Einzeln waren sie schon schwer zu ertragen, und dann noch im Doppelpack. Hogart kannte das von Dutzenden Familienfeiern. Normalerweise waren Sabina und seine Mutter wie Hund und Katz, doch sobald sie sich gegen ihn verschworen, verschmolzen sie zu einem Herz und einer Seele. Und diesmal hatten sie sogar einen triftigen Grund, auf ihn loszugehen. Andererseits war es eine Gelegenheit, mit Kurts Anwalt zu sprechen, um zu erfahren, wie ernst die Lage wirklich war.
Neben der Rossauer Lände am Donaukanal hatte sich noch vor Jahrzehnten die Hauptsiedlung der Wiener Fischer befunden. Mittlerweile war keine Spur mehr von den Auen und Fischerhütten zu sehen. Der Donaukanal verlief in einem gemauerten Bett, wie auch die restliche Umgebung im Lauf der Zeit vollständig zubetoniert worden war.
Die beiden Türme der Rossauer Kaserne aus dem Jahre 1860 erinnerten Hogart stets an den Tower von London - ebenso wuchtig, mit Rundbögen und von Zinnen umgeben. Von vorne sah die Kaserne wie ein mittelalterliches Bollwerk aus. Gemeinsam mit dem Arsenal und der Franz-Josefs-Kaserne sollte sie ein Festungsdreieck gegen innere Unruhen bilden. Noch aus der Schulzeit kannte Hogart die Anekdote über den Architekten der Kaserne, der Selbstmord verübte, weil er vergessen hatte, die Toiletten einzubauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Rossauer Kaserne unter anderem auch Sitz der Bundespolizeidirektion, und Hogart überkam stets das gleiche flaue Gefühl im Magen, wenn er am Torposten vorbeimarschierte, um die geflieste Halle mit den hohen Säulen zu betreten. Die Kaserne verströmte einen eigenen Geruch, den Hogart noch nie zuvor woanders bemerkt hatte. Der Odem des kalten Gemäuers, gepaart mit Bürokratie und Staatsgewalt, ergab eine unangenehme Mischung. Nur der morbide Beigeschmack eines Krankenhauses konnte dieses Gefühl noch toppen.
Nachdem sich Hogart von Büro zu Büro durchgefragt hatte, erreichte er schließlich das richtige Wartezimmer. Auf dem Milchglas der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift Besucherraum V/3 Abt. B. Der Raum war eng. Lediglich ein Tisch mit fünf Holzstühlen und ein Handwaschbecken mit Spiegel befanden sich darin. Das Oberlicht als einziges Fenster war gekippt, sodass kühle Nachtluft in den Raum strömte. Tatjana, Sabina und Hogarts Mutter standen um den Tisch. Hogarts Mutter hatte sich wie eine wichtige Dame herausgeputzt, mit dunkelblauer Bluse, knöchellangem Rock, einer Stola und einem Hut mit breiter Krempe - als würde das etwas nützen. Sabina hingegen sah völlig anders aus. Vermutlich war sie gerade in der Wohnung beschäftigt gewesen und hatte nur nach Mantel, Handtasche und Autoschlüssel gegriffen, als sie von Kurts Verhaftung erfahren hatte.
Als sie sahen, wer hereinkam, verfinsterten sich ihre Mienen. Offensichtlich hatten sie Dr. Fliesenschuh erwartet. Nur Tatjana sah einigermaßen besorgt aus. Kaum hatte er den Raum betreten und die Tür hinter sich geschlossen, ging das Gezeter auch schon los. Dutzende Fragen drangen auf ihn ein - hauptsächlich von seiner Mutter -, doch es war ihm zu dumm, auch nur eine davon zu beantworten. Wie konnte er Kurt nur in einen seiner Fälle hineinziehen, wo Kurt doch nichts mit den
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