Die Engelsmuehle
ermordeten Menschen zu tun hatte.
»Sieh dich nur an, wie du aussiehst! Als hättest du dich in einer Kneipe geprügelt«, fuhr ihn seine Mutter an. »In den Kreisen, in denen du verkehrst, wundert mich nichts mehr.« Fehlte noch, dass sie versuchte, ihn zu ohrfeigen.
Hogart schwieg. Es war ein Fehler gewesen herzukommen. Nur Tatjana trat an seine Seite, um ihn zu fragen, was mit seinem Gesicht passiert sei. Doch bevor Hogart ihr eine Antwort geben konnte, öffnete sich die Tür und Dr. Fliesenschuh trat ein.
Augenblicklich verstummten die Frauen. Nur das Ticken der Wanduhr war zu hören. Der Anwalt dominierte den Raum mit seiner massigen Gestalt. Er trug einen dreireihigen schwarzen Anzug, doch zu dieser späten Stunde saß die Krawatte bereits so locker, als würde sich der Knoten jeden Moment von allein lösen. Trotz der Kälte im Raum lief ihm ein Schweißbach über die Schläfen. Er knallte einen Aktenstapel auf den Tisch, der so dick war, dass die Unterlagen kaum etwas mit Kurt zu tun haben konnten. Fliesenschuh arbeitete meist an drei bis vier Fällen gleichzeitig.
»Guten Abend die Damen … hallo Hog.« Der Anwalt nickte Hogart kurz zu, dann fuhr er mit seiner Brummstimme fort, ohne auch nur einem von ihnen die Hand zu reichen. Offenbar war er in Eile.
»Der Fall Kurt Hogart sieht folgendermaßen aus: Mein Mandant hat für die fragliche Nacht, in der zwei Morde begangen wurden, kein Alibi. Seiner Aussage zufolge hat er die Nacht in seiner Praxis verbracht, aber sowohl seine Fingerabdrücke als auch seine Fußspuren befanden sich an einem der beiden Tatorte. Er kannte das entsprechende Opfer, einen gewissen Primär Ostrovsky. Zwar herrschte eine jahrelange Funkstille zwischen ihnen, doch kurz vor Ostrovskys Tod entstand plötzlich ein reger Telefonkontakt zwischen den beiden.«
»Und das Motiv?«, unterbrach Hogart ihn.
»Er ist auch noch am zweiten Tatort aufgetaucht.«
»Aber das bin ich doch auch.«
»Möglicherweise stehst du auch im Visier der Fahnder. Aber dein Bruder hat gegenüber der Kripo erwähnt, dass er nie einen seiner Patienten in diese miese Reha-Klinik schicken würde.«
»Ich bitte dich, das ist doch kein Motiv für einen Mord.«
»Sag das nicht mir.« Fliesenschuh fuhr sich durch den dichten Bart. »Eben erst habe ich von einem dritten Mord erfahren. Du kennst die Beamten. Denen geht im Moment der Arsch auf Grundeis …« Fliesenschuh warf den Damen einen knappen entschuldigenden Blick zu. »Die gehen im Moment jeder Spur nach, auch wenn sie noch so dünn ist. Fakt ist, dass dein Bruder in die Sache involviert ist - wie auch immer. Die Kripo befragt ihn soeben zu einem gewissen Doktor Alfred Faltl.«
»Und?«
Fliesenschuh sah Hogart an. »Ja, er kennt ihn von seiner Ausbildung im Kaiserin-Elisabeth-Spital.«
»Scheiße!«
»Genau. Und ich sag dir noch etwas.« Die Stimme des Anwalts wurde leiser. Er wischte sich den Schweißfilm aus dem Nacken. »Ich habe mir die Akte des Gerichtsmediziners, von diesem … äh, Bartoldi, angesehen, und ich weiß, weshalb sich die Fahnder auf deinen Bruder eingeschossen haben.« Fliesenschuh holte tief Luft.
»Sie vermuten, dass er Zugang zu einem gewissen Blasrohr-Narkotikum besitzt. Er könnte sich das nur allzu leicht aus dem Medikamentenlager einer Krankenhausapotheke besorgen - oder er besitzt es sogar selbst in seiner Praxis. Das wäre nicht unüblich für einen Chiropraktiker, der Krämpfe, Bewegungsstörungen oder das Schiefhalssyndrom behandelt.«
»Das ist doch an den Haaren herbeigezogen«, protestierte Hogart.
»Ich weiß das«, brummte Fliesenschuh. »Das ist auch der Grund, weshalb Staatsanwalt Hauser im Moment keine Hausdurchsuchung von Kurt Hogarts Praxis beantragt …« Er hob den Finger. »Im Moment! Aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, dann tanzen die Clowns an.«
Der Anwalt musterte die Frauen, als habe er alles gesagt, was es zu sagen gab. Trotzdem sahen ihn Sabina und Hogarts Mutter fragend an. Sie hatten kein Wort von dem verstanden, was er soeben erklärt hatte.
»Kurt hat dir doch alles erzählt, oder?«, fragte Hogart.
»Das nehme ich doch an.«
»Die Sache mit dem Videoband?«
»Ja, ja, das ominöse Video«, seufzte Fliesenschuh. »Solange das nicht auftaucht, gibt es keinen Hinweis, was Kurt tatsächlich bei Ostrovsky wollte.«
»Kurts Alibi?«, fragte Hogart vorsichtig, darauf bedacht, nicht Sabinas Blick zu begegnen.
»Alibi?«, echote Fliesenschuh. »Hätten wir eines, wären wir aus dem
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