Die Engelsmuehle
Schneider.«
Die Stimme des Anwalts klang nicht danach, als wüsste er von Kurts Geliebter. Hogart hätte die Decke hochgehen können. Kurt, dieser Idiot, würde das Verhältnis zu seiner Patientin auch dann noch verschweigen, wenn ihm die Scheiße bis zum Hals stand. Lieber wanderte er wegen einer Mordanklage vor Gericht, als seiner Frau einen Seitensprung zu gestehen. Hogart verstand die Art und Weise nicht, nach der sein Bruder Prioritäten setzte.
»Das war’s, ich muss weiter, Sie hören von mir.« Fliesenschuh nahm seine Akten und wandte sich zur Tür.
»Und was passiert jetzt?« Hogarts Mutter sah den Anwalt völlig perplex an.
»Ich versuche, Ihren Sohn vor einer längeren Untersuchungshaft zu bewahren. So verrückt es auch klingen mag, aber im Moment ist die Kripo unsere einzige Hoffnung. Falls die Beamten eine bessere Spur in den Mordfällen finden, kommt Ihr Sohn sofort frei. Solange das jedoch nicht der Fall ist, muss er sich den Verhören aussetzen. Je länger sie ihn befragen, desto schlimmer wird es, fürchte ich. Wir können nur abwarten und hoffen.« Fliesenschuh verschwand durch die Tür nach draußen. Während seine Schritte im Korridor verhallten, herrschte eisiges Schweigen im Zimmer.
Sabina ergriff als Erste das Wort. »Ich weiß zwar nicht, was die ganze Sache mit diesem Video soll, aber ich weiß, dass es deine Idee war, das Band der Polizei vorzuenthalten.«
»Wir hatten unsere Gründe«, verteidigte sich Hogart.
»Vielleicht hattest du deine Gründe, aber Kurt sitzt jetzt im Gefängnis. Was ist mit seiner Praxis und den Patienten? Was stellst du dir vor, soll ich denen sagen? Wer macht seinen Job? Er darf nicht einmal telefonieren!« Sabina war den Tränen nahe.
»Ich arbeite seit gestern an dem Fall. Ich habe eine Vermutung, wer hinter den Morden stecken könnte, aber ohne handfeste Beweise unternimmt die Kripo nichts.«
Sabina kramte ein Kleenex aus der Handtasche. »Und wer steckt dahinter?«
Hogart warf Tatjana einen kurzen Blick zu, der ihr bedeuten sollte, den Mund zu halten. »Darüber kann ich im Moment nicht sprechen.«
Schließlich mischte sich seine Mutter in die Diskussion. »Je mehr du unternimmst, desto tiefer treibst du deinen Bruder in den Schlamassel. Diese ganze Blasrohr-Geschichte ist wahrscheinlich auch nur wegen dir.«
Natürlich, so musste es ja sein! Hogart atmete tief durch, ohne etwas zu sagen.
»Dein Vater hat tagein, tagaus geschuftet, mit all seinen Firmen. Kurt ist wie dein Vater. Er arbeitet sich nach oben, baut sich einen Ruf auf, aber du bringst ihn immer in Schwierigkeiten.«
Immer? Das musste ja schließlich kommen. Dass Vater mit seinem Lebensmittel- und später mit dem Antiquitätenladen Bankrott machte, weil ihn seine Partner betrogen hatten, aber er sich trotzdem von einem Geschäft ins nächste stürzte, während Mutter ihn finanziell ausnutzte und schließlich sogar mit einem seiner Partner ins Bett stieg, erzählte sie natürlich nicht. Wahrscheinlich wusste sie nicht einmal, dass Hogart die Geschichte von ihren heimlichen Treffen im Caruso-Hotel kannte. Sie lebte in ihrer eigenen Welt, wo die Wahrheit, die sie sich aufbaute, nach ihren Regeln funktionierte. Er würde ihr noch eine Minute lang zuhören und dann gehen.
»Du brauchst dich nur anzusehen«, fuhr sie fort. »Eva war so eine nette junge Frau. Aber du konntest sie nicht halten. Wie alle anderen ist sie dir davongerannt und hat sich einen Besseren gesucht. Ich habe gehört, ihr Mann ist Geschäftsführer von Coca Cola.«
Ja, sie hatte ihn verlassen, aber immerhin hatte er sie nie betrogen.
»An Sabina und deinem Bruder kannst du dir ein Beispiel nehmen«, setzte seine Mutter noch eins drauf, während sie durch den Raum marschierte und sich den Frust von der Seele laberte. »Sie führen eine gute Ehe, aber das ist dir ja nie gelungen.«
Hogart nickte. Seine Mutter drehte die Wahrheit so, wie sie sie gerade brauchte. Er warf Sabina einen Blick zu. An ihrem Gesichtsausdruck merkte er, wie ihr die Diskussion langsam ebenso peinlich wurde wie Hogart. Doch sie sagte nichts, um Hogarts Mutter nicht noch mehr zu reizen.
Schließlich gab Hogart Sabina die Hand, um sich zu verabschieden. Sie küsste ihn auf die Wange. Er reichte auch Tatjana die Hand.
»Pass auf dich auf«, sagte sie.
»Klar.«
Nachdem Hogart das Zimmer verlassen hatte, hörte er die Stimme seiner Mutter durch das Milchglasfenster. »Er soll auf sich aufpassen?«
Als Hogart vor der Rossauer Kaserne stand und der
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