Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
baufällig, kein Fenster zerbrochen oder notdürftig mit einem alten Sack verhängt. Ein krächzendes Klingeln lenkte ihren Blick zurück auf die Straße. Gleich neben der Gasse, in der das Kind verschwunden war, schloss sich eine Ladentür hinter einer dunkel gekleideten Gestalt.
    Das Haus war nur schmal, auf einer hölzernen Tafel über seinem Schaufenster stand in altertümlicher Schrift‹Antiquitäten› und darunter ‹Godfrey Wilberhood›. Die Scheiben waren nicht ganz so blank geputzt wie die meisten anderen, die dahinter ausgelegten Waren ein buntes Sammelsurium. Es bestand vor allem aus Büchern, die alt, dick und äußerst gelehrt aussahen. Sie versuchte die Titel zu lesen, doch außer einigen Worten in breiter Goldprägung konnte sie nichts entziffern. Da waren auch ein altes Schnappschlossgewehr, am Schaft mit ziseliertem Silber belegt, einige Messingkannen, Gürtelschließen, Silberleuchter und Schuhspangen, eine Schale mit verschiedenen Knöpfen. Ein Schild bot die ‹Beschaffung von Spiegeln in jeder Größe nach altgriechischer Manier› an, ein zweites ‹römische Marmorstatuen, mit und ohne Sockel, zumeist in gutem Zustand›. Am besten gefiel ihr jedoch eine Deckelvase aus weißen Porzellan, die in chinesischer Manier mit Blumen und Vögeln bemalt war.
    Im Laden sah sie zwei Männer, undeutlich nur, denn der helle Tag ließ den Raum noch dunkler erscheinen, als er ohnedies war. Sie beugten sich über etwas, das zwischen ihnen auf dem Ladentisch lag, dann hielt der kleinere etwas zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe, legte es wieder auf den Tisch, griff nach einer Vergrößerungslinse und beugte sich, das Glas ins rechte Auge geklemmt, erneut darüber. Der andere, der Mann in der dunklen Kleidung und gewiss ein Kunde, stand an den Ladentisch gelehnt und zeigte das ebenmäßige Profil eines noch jungen Mannes. Er war erheblich größer als der Händler und sehr schlank.
    Als sie noch überlegte, ob ihr dieses Gesicht gefalle, eilte der Händler hinter seinem Tisch hervor zum Fenster und stellte, ohne die Frau an der Scheibe zu beachten,ein samtbeschlagenes Tablett mit drei alten goldenen Münzen in die Lücke zwischen die beiden Leuchter.
    Rosina seufzte. Schon wieder alte Münzen. Sie trat einen Schritt zurück und las noch einmal den Schriftzug auf der Tafel. Nein, Godfrey Wilberhood war nicht unter den Namen gewesen, die Mr.   Cutler ihr genannt hatte.
    Doch nun lagen auch im Fenster dieses staubigen Ladens, in dem alles verkauft wurde, was nicht mehr neu war, drei Münzen, die aussahen, als wären sie von einigem Wert. Es musste Dutzende solcher Läden geben – die Suche nach der Sammlung des Senators war wirklich reine Zeitverschwendung.
    Sie musste nur zweimal fragen, um die Ave Maria Lane zu finden. Die Straße war kurz, doch bis sie wenige Schritte vor der Kreuzung zur Pater Noster Row endlich das Schild ‹Druckerei, Buchhandlung und Verlag von Thomas MacGavin› entdeckte, hatte sie außer einer Schreib- und einer Papierwarenhandlung schon zwei andere, allerdings kleinere Druckereien passiert. Nur die Tapeten im Schaufenster des Papierwarenhändlers hatten sie einige Zeit aufgehalten.
    Sie trat durch die schmale Einfahrt – für Wagen mit schweren Lasten musste es an der anderen Seite des Anwesens eine zweite geben – und sah in einem hübschen Innenhof als erstes eine Hermesstatue, von der dicken Londoner Luft schwärzlich patiniert. Die Backsteingebäude um den Hof konnten nicht älter als ein Jahrhundert sein, ihre Fenster waren groß, und Rosina stellte sich auf die Zehenspitzen, um sich für die richtige der Türen in den drei Flügeln zu entscheiden. Die schweren Vorhänge an den Fenstern des linken Hauses verrieten Wohnräume,in den beiden des mittleren, gegenüber der Hofeinfahrt, waren Bücher ausgestellt, hinter zwei Fenstern sah sie Männer an den schräg gestellten Setzkästen. Das war der richtige Flügel.
    Als auf ihr Klopfen niemand öffnete, entschied sie sich für die Tür zu Mr.   MacGavins Buchhandlung.
    Durch drei hohe Fenster gegenüber den beiden zum Hof fiel helles Tageslicht in den Raum. An den anderen beiden Wänden reichten Bücherschränke fast bis zur Decke. In zweien warteten die kostbarsten Druckwerke hinter verglasten Türen auf Käufer, doch auch auf den Reihen ungeschützter Bücher lag kein Stäubchen. Ein alter Herr mit einer teuren braunen Perücke, schwarz gekleidet bis zu den altmodisch hohen Absätzen seiner Schnallenschuhe, blätterte

Weitere Kostenlose Bücher