Die englische Episode
wütender. Es heißt sogar, dass er die Zensur völlig abschaffen und den Pressen alle Freiheit geben will. Was aber noch schlimmer ist», Dagenskøld grinste breit, «angeblich will er auch den Handel mit Ämtern und Titeln beschränken – wenn er nicht aufpasst, kostet ihn das den Kopf.»
Rosina lachte. «Da kennt Ihr Struensee schlecht. Er istein ungemein tüchtiger und einnehmender Mensch. Auch in Altona stieß er mit seinen Ideen und Überzeugungen auf Widerstand und durfte manche seiner Schriften nicht drucken lassen, aber frischer Wind kann in alten Schlössern nie schaden. Wenn der König nur halbwegs bei Sinnen ist, wird er ihn schützen, es ist kein Wunder, dass er Struensee so sehr schätzt.»
«Das tut er ohne Zweifel. Und – wie es heißt – die Königin auch.»
«Ihr sprecht von Dr. Struensee?», mischte sich nun Mrs. Cutler ein. Als gute Gastgeberin hatte sie sich zu Gräfin Alwitz und Mr. Eschburg gesetzt, obwohl sie unbedingt noch eine ruhige Minute finden musste, um sich von Mrs. Dambeaux, der Gattin eines hugenottischen Seidenmanufakteurs, die Quelle ihres delikaten und überaus preiswerten Tees verraten zu lassen. Cilly ahnte zwar, dass diese Quelle eine war, um die der Zoll nicht wusste, aber das Leben war zu teuer für übertriebene Ehrsamkeit. Wenn die Schmuggler und Kaperer den Kaufleuten und der königlichen Kasse schon so großen Schaden zufügten, war es nur vernünftig, wenn die Hausfrauen der Kaufleute ein wenig des Verlustes durch den Kauf von Schmuggelware ausglichen. Frederick würde möglicherweise von Betrug und Missachtung der Gesetze sprechen, doch es gab keinen Grund, ihn mit nebensächlichen Haushaltsangelegenheiten zu behelligen.
Das Gespräch mit dem jungen Eschburg allein verlief mühsam, jedenfalls wurde Cillys Neugier in keiner Weise befriedigt. Sie erfuhr nur, dass er in Göttingen die Rechte studiert hatte und sich für einige Zeit in London aufhalte, um seinen Freund zu besuchen und die berühmte Stadt kennen zu lernen, auch interessiere er sich sehr fürdie englische Justiz. Weil Cilly das scheußlich langweilig fand, begann sie ihm ausführlich die Sehenswürdigkeiten der Stadt anzupreisen, was sie kaum weniger langweilte. Nun überlegte sie schon seit einer Viertelstunde, wie es ihr gelänge, sich in das Gespräch am Nebentisch zu drängen und so Mr. Eschburg und die Gräfin unauffällig Miss Rosina zu übergeben, die etwa im gleichen Alter war und viel leichter ein gemeinsames Thema finden konnte. Vielleicht sprach sie sogar ein wenig Holländisch, was bei Hamburger Kaufleuten üblich war, überhaupt musste sie Augusta unbedingt fragen, was für einen Handel Miss Hardensteins Familie betrieb.
Endlich sah sie die rettende Chance. «Wenn ich gewusst hätte, dass du Dr. Struensee kennst, Augusta! Ich habe ihn kennen gelernt, als er mit dem dänischen Hof hier war. Auf dem großen Maskenball, ein exorbitantes Fest, man hat gewiss selbst in Hamburg davon gehört. Er ist ein entzückender Mensch, ungemein entzückend. Und so verständig. Er hat sich sogar durch unser schönes Findlingsheim führen lassen. Ich muss unbedingt erzählen … Ach, Miss Hardenstein, würde es Euch etwas ausmachen, mit mir den Platz zu wechseln? Danke, das ist ganz reizend. Ihr kennt Miss Hardenstein, Mr. Eschburg. Gewiss habt Ihr einander viel zu erzählen. Womöglich kennt Ihr auch Hamburg? Nein, wie schade, dort lebt Miss Hardenstein nämlich. Ja, wie ich schon sagte, Augusta, Dr. Struensee …»
Mitternacht war längst vorüber, als Rosina nach Covent Garden zurückkehrte. Sie war schrecklich müde und überlegte, was sie Helena, Jean und den anderen morgen erzählen würde, wenn alle um den Frühstückstisch herumsaßenund sie erwartungsvoll ansahen. Sie wollte sich Mühe geben und den Abend am St. James Square als das schildern, was sie erwarteten, als einen wunderbaren Abend im Glanz des Reichtums und der feinen Gesellschaft. Sicher, es war ein schöner Abend gewesen, das Essen war vorzüglich und das Konzert, das Mr. Bach und Mr. Abel mit einigen ihrer Musiker zum Abschluss gaben, ein Erlebnis. Dennoch fühlte sie sich, allein in der Droschke, seltsam leer. Wenigstens war es ihr noch gelungen, Mr. Cutler zwei Namen und Adressen von Münzhändlern der undurchsichtigen Art zu entlocken. Es war leicht gewesen, er hatte nicht nach dem Grund gefragt. Als Kaufmann fand er es gewiss nur vernünftig, sparsam einzukaufen.
Sie ließ die
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