Die englische Episode
wäre.
Wagner war entzückt von seiner jungen Ehefrau. Er liebte es, ihre leichten Schritte neben seinen zu hören, und hier, wo ihn niemand kannte, war es ihm nur ganzwenig peinlich, ihre Hand in seiner zu spüren. Aber am liebsten hätte er sie alle Tage – und besonders alle Nächte – eingesperrt, um sie vor den Gefahren dieser brodelnden Stadt zu beschützen. Karla war von allem Neuen, das sie entdeckte, beglückt, sie misstraute nie einem freundlichen Gesicht, und er war sicher, wenn sie eine Katze sähe, die ihr gefiel, würde sie dem Tier bis in den dunkelsten Hinterhof folgen, und dann – weiter mochte er nicht denken.
Als er sich an diesem Morgen auf den Weg machen wollte, war niemand da gewesen, dem er Karla anvertrauen konnte. Rosina schlief noch, wer wusste schon, wann sie nach ihrem Ausflug in die vornehme Welt erwachte. Sie hatte ihm einen Zettel unter der Tür durchgeschoben, auf dem jemand zwei Adressen von Händlern notiert hatte, die ‹nicht nach dem Woher oder Von-wem› fragten. Er hatte immer gewusst, dass reiche Leute sich mit dunklen Geschäften ebenso gut auskannten wie arme. Helena, Gesine und Manon verschwanden zu irgendwelchen Läden für Tuche, Bänder, Nadeln und unnützem Flitter, Fritz und Muto wollten sehen, ob es im Tower tatsächlich senegalesische Löwen gebe, und Rudolf murmelte etwas von neuen Farben, es könne ja sein, dass er plötzlich Kulissen malen müsse, im Übrigen könne es nicht schaden, einige Skizzen von London anzufertigen, um sie später als Vorlage für die Prospekte zu verwenden.
Wagner wusste es nicht, aber in Rudolf, der zum ersten Mal in seinem Leben das Glück freier Zeit erlebte, wuchs die Sehnsucht, endlich etwas anderes zu malen als immer nur grobe Kulissenbilder. In den letzten Tagen hatte er zum ersten Mal eine Handlung für Gemälde betreten, hatte vor den vom Boden bis zur Decke mitBildern bedeckten Wänden gestanden und dieses bittersüße Ziehen in der Brust gespürt, für das es keine Heilung gab. So verbrachte er Stunden mit Papier und Rötelstift am Fluss und in der Stadt, betrat jede Farbenhandlung auf seinen Wegen, immer auf der Suche nach Pigmenten, die er sich leisten könnte. Und das Ziehen in der Brust ließ nicht nach.
Jean, der sowieso nicht zum Aufpasser taugte, verkündete, es sei höchste Zeit, zum Drury Lane Theatre zu gehen und Mr. Garrick seine Aufwartung zu machen. Ein Vorhaben, dass Mrs. Tottle tief beeindruckte, wenn die Wirtin auch zu bedenken gab, Mr. Garrick sei ein
sehr
berühmter Mann und keineswegs so einfach zu sprechen, was wiederum Jean überhaupt nicht beeindruckte.
So war Wagner mit Titus und Karla seiner Pflicht gefolgt – auch diesmal vergeblich. Er wurde bei seiner Arbeit selten zuvorkommend behandelt. Niemand hatte gern mit der Wedde zu tun, in den Bürgerhäusern und Kontoren begegnete man ihm gar wie einem Bittsteller. Das ließ ihn die Gewohnheit stoisch ertragen. Hier jedoch, wo ihm kein Amt Bedeutung verlieh, wo man ihn trotz seines besten Rockes als armen Mann ansah, der nach teuren Münzen fragte, die er sich kaum würde leisten können, fühlte er sich zutiefst gedemütigt. Die beiden dubiosen Händler von Rosinas Zettel – es hatte geraume Zeit und viele Fragen gekostet, sie in der versteckten Chymisters Alley und in einem Hof hinter der Birchin Lane zu finden – hatten sich zwar in Bücklingen überboten, aber auch nicht mit den gesuchten Exemplaren oder nützlichen Hinweisen dienen können.
«Genug für heute, Wagner.» Er fühlte Titus’ Hand auf seiner Schulter. «Wir sollten jetzt essen und trinken.»
Titus zeigte mit dem Kinn die Arkaden hinunter, wo drei Häuser weiter die Tür zur
Shakespeare’s Head Tavern
weit offen stand. Ehe Wagner widersprechen und eine bescheidenere Schenke vorschlagen konnte, hatte er schon einen seiner kuriosen Kratzfüße gemacht, Karla den Arm geboten und stolzierte mit ihr davon.
Wagner atmete schwer, als er hinter ihnen in die Taverne stolperte. Immerhin war es keine der stinkenden Kaschemmen voll mit Gin-trunkenem Pöbel, von denen es in den Seitengassen so viele gab. Hier standen tadellose Stühle vor Tischen aus dunklem Holz, in dem etwas erhöhten hinteren Teil des Raumes sogar mit weißen Tüchern bedeckt. In polierten messingnen Wandleuchtern brannten Kerzen, und die Düfte, die ihm entgegenschlugen, eine Mischung von Gebratenem und würzigen Suppen, Tabak und Kaffee, waren köstlich. Tatsächlich glich die Taverne einem der besseren
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