Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
in einem kleinen Buch, das er von dem Tisch in der Mitte des Raumes genommen hatte. Er blickte auf, als Rosina eintrat, ließ seine Lorgnette sinken und musterte sie mit kurzsichtig zusammengekniffenen Augen.
    «Exzellente Angebote», sagte er mit heiserer Stimme und klopfte auf den Tisch. «Auch für den Nadelgeldetat junger Damen. Sehr zu empfehlen. Neue Bücher zum halben Preis. Wie Cicero sagte: Sparsamkeit ist eine gute Einnahme. Dies hier zum Exempel, Fleetwoods ‹Essays über Wunder›. Oder ‹Äsops Fabeln in Englisch und Latein›. Sehr lehrreich, ja, auch für Damen.»
    Dann hob er mit rumpelndem Räuspern seine Stielbrille vor die Augen und vertiefte sich wieder in die Lektüre.
    «Kann ich helfen, Miss?» Eine rundliche Frau mittleren Alters mit apfelroten Wangen trat aus dem hinter der Buchhandlung liegenden Zimmer und lächelte beflissen.«Ihr interessiert Euch für diese günstigen Bücher? Das ist klug. Wir führen eine große Auswahl an Restauflagen, nicht nur unsere eigenen, sondern Druckwerke aus dem ganzen Land. Nur weil sie niemand gekauft hat, heißt das noch nicht, dass sie von minderer Qualität sind. Dieses zum Beispiel.» Sie griff nach einem nur handgroßen, in schwarzes Leder gebundenen Büchlein. «Mr.   Arbut-Worthings Gedichte sind so ungemein ergreifend. Und so wahrhaftig. Sie berühren das Gemüt und heben die Seele. Die Kunst seiner Poesie ist bedeutend. Wenn Ihr die Sonette von Mr.   Shakespeare kennt und liebt, wie es doch jeder empfindsame Mensch tun muss, werdet Ihr auch dieses Werk schätzen. Vielleicht», sie strich bedauernd über das Leder, «hätte Mr.   Arbut-Worthing nicht ausschließlich die raue Weite Schottlands und die Mysterien des Novembernebels zum Gegenstand seiner Verse machen sollen. Hätte er auch die Lieblichkeit der einen oder anderen Dame oder der italienischen Gärten besungen, hätte sich das Büchlein hervorragend verkauft. Doch ist das Leben nicht oft wie die schottische Landschaft? Stürmisch und rau, voll kalten Nebels unter dräuenden Wolken, doch ebenso voll des süßen Heideduftes und des Gesangs der Lerchen?»
    «Sehr richtig», mischte sich der Herr mit der Lorgnette ein, «schönes Land da oben, seit wir die Rebellen untergekriegt haben, prachtvolle Moorhühner, und der Whisky   …» Wieder rumpelte sein Räuspern und er beugte sich rasch über das nächste Buch, als müsse er die Ungehörigkeit, sich in das Gespräch fremder Damen gemischt zu haben, ungeschehen machen.
    Die Verkäuferin, Rosina vermutete in ihr Mrs.   MacGavin, lächelte errötend. Entweder hegte sie eine unerfüllteSehnsucht nach dem schottischen Hochland oder nach Mr.   Arbut-Worthing.
    «Ohne Zweifel ist die nördliche Landschaft erhebende Verse wert», sagte Rosina brav und bemühte sich um ein möglichst fehlerhaftes Englisch. «Ich hatte leider nie das Vergnügen, Schottland zu bereisen. Aber heute möchte ich kein Buch kaufen», sie zog drei schon ziemlich verkrumpelte Bögen aus ihrer Rocktasche, «sondern etwas drucken lassen. Es ist   …» Sie seufzte schwer und machte ein klägliches Gesicht. «Verzeiht, ich spreche Eure Sprache nur sehr schlecht. Gibt es in der Druckerei jemanden, der Deutsch spricht?»
    «Da habt Ihr Glück, Miss!» Mrs.   MacGavin sprach nun ganz ohne lyrischen Schmelz, dafür langsam, deutlich und so laut, dass der Moorhuhnliebhaber erschreckt sein Buch fallen ließ. «Wir haben einen neuen Gesellen, der Eure Sprache sehr gut spricht, was kein Wunder ist, es ist nämlich seine eigene. Mr.   Hebbel ist ein sehr netter junger Mann, höflich und adrett, obwohl er Ausländer ist. Oh, verzeiht, Miss», diesmal errötete sie noch tiefer, «natürlich gibt es überall auf der Welt höfliche Menschen, selbst in Ostindien soll es ganz saubere   … nun ja, wenn Ihr einen Moment wartet, hole ich ihn. Nur ein winziges Momentchen.»
    Damit verschwand sie eilig durch die Tür zwischen den Bücherwänden.
    Rosina hatte sich auf ihrem Weg durch die Stadt ein ganzes Sortiment an Tricks ausgedacht, wie es ihr gelänge, Bendix Hebbel zu sprechen, ohne irgendeinen Verdacht zu erregen. Dass es so einfach sein würde, hatte sie nicht gedacht. Und den Mann, der durch die Tür in den Verkaufsraum trat, hatte sie sich anders vorgestellt. Immerhinhatte er das Leben und beinahe die Heiratspläne einer äußerst vernünftigen Witwe durcheinander gebracht, keines schwärmerischen Mädchens, sondern einer erwachsenen Frau, die zwei Kinder aufzog und eine

Weitere Kostenlose Bücher