Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
Kaffeehäuser, anders als dort, entdeckte er hier unter den Gästen auch einige Frauen, allerdings von der Sorte, die er trotz ihrer teuren Garderobe und herablassenden Mienen nicht als Damen bezeichnete. Er würde Karla keine Sekunde von seiner Seite lassen.
    Sie versorgten sich an der Theke mit Bier, und Wagner bestellte je drei Portionen mit Muskatblüte, Pfeffer und Wein gekochte Austern und Gänseklein in Stachelbeersoße, billige Gerichte, die sein Budget gerade noch erlaubte.
    «Ich hab’s gewusst», rief Titus grinsend und drängte sich zwischen den zumeist gut besetzten Tischen hindurch. «Da sitzt unser Prinzipal. Und wenn der Mann neben ihm Mr.   Garrick ist, hat der einen Jungbrunnen entdeckt.»
    Jean hatte das Portal des Theaters in der Drury Lane verschlossen vorgefunden, was ihn wunderte, schließlich gehörten zu einer ordentlich geführten Bühne Vormittagsproben, denn das Tageslicht half, die teuren Kerzen zu sparen. Auf sein beharrliches Klopfen am Bühneneingang öffnete ihm schließlich ein noch junger Mann, der versicherte, niemand sei um diese Stunde hier. Er sei der zweite Bühnenmeister und habe nur nach einem Seil an der Oberbühne gesehen. Das habe gestern Abend nach der ersten Szene des fünften Aufzugs geklemmt und das Bewegen der Schlussprospekte verhindert, weshalb der gesamte Rest des Dramas – man habe den
Macbeth
gegeben – in einem Zimmer im Schloss zu Dunsinan spielen musste. Das Publikum, das sich den ganzen Abend auf die mit Buschwerk getarnten Soldaten auf dem Schlachtfeld gefreut hatte, habe heftig protestiert. Hinter der Bühne seien alle sehr froh gewesen, dass der Prinzipal, nämlich Mr.   Garrick, in dieser Woche wegen einer Unpässlichkeit nicht auftrete und sich weit weg in seinem Landhaus in Hampton aufhalte. Da die Saison bald vorüber sei, werde es für ungewiss gehalten, ob er in diesem Sommer überhaupt noch einmal spiele. David Garrick, erfuhr Jean, sei ein äußerst strenger Spielleiter, der keinerlei Nachlässigkeit toleriere, egal ob in der Darstellungskunst oder im Bühnenbau.
    Jean war so begeistert, beinahe jedes der zahlreichen Worte zumindest dem Sinn nach verstanden zu haben, dass er Mr.   Lancing, so hieß der Mann an der Tür, umgehend zu einem zweiten Frühstück einlud. Es fiel üppig aus, schließlich war diese Taverne für ihre gute Küche, insbesondere für eine unvergleichliche Schildkrötensuppe bekannt. Es hieß, der Wirt kaufe immer gleichfünfzig der exotischen Tiere, da seine Delikatesse auch in anderen Häusern gefragt sei. Obwohl Jean Stücke, in denen der Held zum Schluss in seinem Blut lag und verschied, nicht liebte, nahm er sich vor,
Macbeth
umgehend in sein Repertoire aufzunehmen; ein wenig gekürzt, um einen, vielleicht zwei Akte, damit noch genug Zeit für die vom Publikum geforderten Schäferspiele und Ballette blieb, doch auf keinen Fall um die letzte Szene mit den Soldaten unter ihrem Gesträuch. Helena würde ein grandiose Lady Macbeth abgeben.
    Das war nun gute zwei Stunden her und Jean war bester Laune, obwohl er inzwischen neben vielem anderen erfahren hatte, dass Mr.   Garrick klein von Gestalt, gleichwohl ein genialer Darsteller und ausgemachter Liebling der Damen sei, die er regelmäßig zu Tränen und Ohnmachtsanfällen animiere, aber absolut gar keine Akademie halte. Wohl lehre er junge Akteure die Schauspielkunst, doch ausschließlich die auf seiner eigenen Bühne. Von einer Akademie könne keine Rede sein, wenn man davon in Deutschland spreche, sei das nichts als ein Missverständnis.
    Das grämte Jean zutiefst, allerdings nur für eine Minute, dann ereilte ihn eine geniale Idee. Eine Schauspieler-Akademie war in diesen Zeiten, da die Bühnenkunst einen unvergleichlichen Aufschwung nahm und endlich den Ruch des Lasterhaften verlor, unabdingbar. Es gab in ganz Europa keine – wer wäre zu ihrer Einrichtung und Leitung besser geeignet als ein erfahrener, vielfältig talentierter Prinzipal und Heldendarsteller wie Jean Becker. Von überall würden die talentiertesten Akteure herbeiströmen, und erst die jungen Aktricen! Nicht nur fahrende Habenichtse, nein, wohl situierte Bürgerkinder, beseelt von derhehren Kunst und der den Charakter bildenden Wirkung des Theaters, ausgestattet mit einem veritablen Einkommen aus dem Familienvermögen, von dem sie gerne ein Schulgeld bezahlen würden. Nicht zu wenig, was billig war, galt nichts. Schon sah er eine geräumige, gut beheizte Villa vor sich, einen weitläufigen Garten

Weitere Kostenlose Bücher