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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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mit Wasser heraus. Während Honor trank, lehnte Belle sich ans Geländer und blickte über den Hof. »Drüben auf dem Holzstapel liegt eine Schlange und sonnt sich«, verkündete sie. »Eine Kupferkopf. Gibt es bei euch in England auch Kupferkopfschlangen? Nein? Halte dich von ihnen fern, ihre Bisse sind tödlich, und ein schöner Tod ist es gewiss nicht.« Sie verschwand ins Haus und kam mit einer Flinte zurück. Ohne Vorwarnung zielte sie auf die Schlange und drückte ab. Honor zuckte zusammen und kniff die Augen zu, der Becher fiel ihr aus der Hand. Als sie sich wieder hinzuschauen traute, sah sie wenige Meter von dem Bretterstapel entfernt den kopflosen Schlangenkörper im Gras liegen. »So«, erklärte Belle zufrieden. »Aber wahrscheinlich gibt es dort ein ganzes Nest. Ich werde ein paar Jungs damit beauftragen, sie alle auszurotten. Ich will keine Schlangen in meinem Holzschuppen haben.«
    Honor musste an den Mann denken, der sich dort schon seit drei Tagen versteckte. Sicher setzten ihm Hitze und Dunkelheit zu, und jetzt war er auch noch von dem Schuss aufgeschreckt worden. Wie kam Belle nur dazu, ihm Unterschlupf zu gewähren? »Du hast gesagt, Kentucky sei ein Sklavenstaat«, wandte Honor sich an die Putzmacherin, als ihre Ohren nicht mehr klingelten. »Hat deine Familie auch Sklaven besessen?« So direkt hatte sie noch nie zu fragen gewagt.
    Belle musterte Honor aus gelbstichigen Augen. Sie lehnte immer noch mit der Flinte in der Hand am Verandageländer, das Kleid schlabberte ihr weit um den Körper. Plötzlich kam Honor der Gedanke, dass die Putzmacherin krank sein musste. Es musste einen Grund geben, warum sie so dünn war und eine so schlechte Gesichtsfarbe hatte. »Unsere Familie war zu arm, um Sklaven zu besitzen. Darum tut Donovan das, was er tut. Niemand hasst die Neger mehr als arme Weiße.«
    Â»Warum?«
    Â»Sie meinen, die Farbigen nehmen ihnen etwas weg oder machen die Preise kaputt. Der Wert eines Sklaven ist sehr hoch, verstehst du? Für einen Farbigen legt ein Plantagenbesitzer schon mal tausend Dollar hin, während ein armer Weißer keinen Penny wert ist.«
    Â»Aber du hasst sie nicht.«
    Ein Lächeln huschte über Belles Gesicht. »Nein, Schätzchen, ich hasse sie nicht.«
    Die Glocke an der Ladentür läutete und kündigte eine neue Kundin an. Belle nahm ihre Flinte. »Donovan ist übrigens weg. Samstagabends säuft er sich im Wacks in Oberlin immer besinnungslos, darauf kann man sich verlassen. Vermutlich hat er heute schon früh angefangen. Du brauchst dich also nicht mehr hier hinten zu verstecken.«

Belle Mills’ Putzmacherei
    Main Street
    Wellington, Ohio
    1. des 6. Monats, 1850
    Liebste Biddy,
    es schmerzt mich, Dir mitteilen zu müssen, dass Gott vor sechs Tagen Grace zu sich gerufen hat. Sie ist am Gelbfieber gestorben. Ich will jetzt nicht ins Detail gehen – meine Eltern lassen Dich sicher den Brief lesen, den ich ihnen geschrieben habe. Ach, wie ich mir wünsche, Du säßest jetzt neben mir! Du könntest meine Hand halten und mich trösten.
    Wenn Du sehen könntest, wo ich gerade sitze, würdest Du sicher große Augen machen: Es ist die hintere Veranda der Putzmacherin Belle Mills in Wellington, Ohio. Die Veranda geht in Richtung Westen, und ich blicke über eine weite Ebene, an deren Ende im Licht der untergehenden Sonne die Schienen der Eisenbahn aufblitzen. Wenn die Strecke fertig ist, wird die Eisenbahnstrecke von Columbus im Süden bis Cleveland im Norden reichen. Die Leute in Wellington freuen sich sehr darauf, wie wir es sicher auch tun würden, wenn die englische Eisenbahn bis Bridport käme.
    Belle gehört zu den vielen Fremden, die Mitleid mit mir haben und mir helfen. Sie war sogar mehr als nur nett und hilfsbereit. Von ihrem Laden sind es nur noch sieben Meilen bis zu Adam Cox, doch als ich hier ankam, hat sie mich nicht einfach so schnell wie möglich weiter nach Faithwell geschickt. Ohne zu fragen, hat sie gespürt, dass ich eine Pause brauchte. Sie meinte, ich müsse nach dem Tod von Grace erst wieder zu mir kommen, und lässt mich ein paar Tage bei sich wohnen. Als Gegenleistung helfe ich ihr beim Nähen, was mir Spaß macht, da es eine vertraute Tätigkeit ist und ich mich noch dazu ein wenig nützlich machen kann. Es tut gut, nicht ständig auf die Hilfe von anderen oder auf meine Geldbörse angewiesen

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