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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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der Stadt.«
    Tatsächlich gaben viele Frauen auch dann Bestellungen auf, wenn es ihnen nicht gelungen war, einen besseren Preis auszuhandeln. Nur selten maß Belle die Köpfe ihrer Kundinnen aus; die meisten kannte sie ohnehin schon seit Jahren, und die Maße von Neukundinnen konnte sie auf einen Blick einschätzen. »Bei den meisten Frauen sind es 51 cm Kopfumfang«, erklärte sie Honor. »Deutsche Köpfe können ein wenig größer sein, aber sonst sind sie alle mehr oder weniger gleich, ganz unabhängig davon, wie viel die jeweilige Dame im Oberstübchen hat – oder auch nicht.«
    Belles Modelle waren oft ungewöhnlich in Form und Gestaltung, doch mochten die Kundinnen auch erbittert über den Preis der Hüte streiten, schätzten sie dennoch Belles Urteil. Und wie Honor an den Frauen, die im Laden ihre Hüte abholten, sehen konnte, hatte Belle in der Regel recht. Für ihre Kundinnen wählte sie Farben und Designs, die anders waren als das, was man normalerweise zu sehen bekam. »Hüte können schnell langweilig wirken«, sagte sie zu einer Kundin, die sie gerade zu einem grünen Modell überredet hatte, das über und über mit gefalteten Strohhalmen besteckt war, die Kornähren darstellten. »Man will seine Mitmenschen doch mit etwas Neuem überraschen, damit sie ein anderes Bild von einem bekommen. Eine Frau, die tagein, tagaus dieselbe blaue Haube mit Spitzenbesatz trägt, sieht irgendwann aus wie ihre Haube, selbst dann, wenn sie sie gar nicht auf dem Kopf hat. Um nicht so schnell langweilig zu werden, braucht eine Haube auch Blumen als Schmuck, ein rotes Band oder eine Krempe, die dem Gesicht der Trägerin schmeichelt.« Sie warf dabei einen derart unverblümten Blick auf Honors schlichte Haube, dass Honor instinktiv den Kopf einzog.
    Â»Aber Belle, du trägst doch auch jeden Tag dieselbe Haube«, bemerkte die Kundin.
    Belle klopfte auf ihre Haube, die trotz des schlaff herabhängenden Rüschenrandes und der kleinen Kordel, mit der man hinten eine Falte in den Stoff ziehen konnte, fast so schlicht wie Honors Haube war. »Es ist nicht gut, wenn ich im Laden schicke Hauben trage«, sagte sie. »Ich will schließlich nicht mit meinen Kundinnen konkurrieren. Sie sind diejenigen, die gut aussehen müssen. Ich trage meine Hüte nur draußen in der Stadt, um Werbung zu machen.«
    Trotz des Feilschens, der frivolen Schmuckbesätze und des Gefühls, als Gesprächsthema für die Hutkäuferinnen Wellingtons herhalten zu müssen, arbeitete Honor gern für Belle. Egal, was sie nähte, sie war beschäftigt und hatte keine Zeit zum Grübeln: weder über die Schrecken der vergangenen Wochen noch über ihre seltsame Situation oder über die Zukunft.
    Zweimal sah Honor Donovan vorbeireiten, während sie am offenen Fenster saß und arbeitete. Eines Nachmittags brachte er sich in der Hotelbar gegenüber in Position und beugte sich weit über das Geländer. Honor hatte das Gefühl, dass er den Hutladen im Visier hatte, und wich auf ihrem Stuhl zurück, doch sie konnte sich nicht außer Sichtweite bringen. Um seinem forschenden Blick zu entgehen, raffte sie schließlich ihre Sachen zusammen und flüchtete auf die hintere Veranda.
    Belle hatte völlig nüchtern über die Situation der Sklaven gesprochen, doch Honor war immer noch schockiert. In Bridport hatten die Freunde über die schändliche Sklavenhaltung in Amerika diskutiert und sich darüber empört, ohne je selbst einen Sklaven gesehen zu haben. Aber jetzt befand sich ein entflohener Sklave nur zwanzig Meter von Honor entfernt. Sie konnte es kaum glauben.
    Honor nahm eine graue Haube in die Hand, die fast schlicht genug für eine Quäkerin war, jedoch ein schlüsselblumengelb leuchtendes Innenfutter hatte. Sie sollte nur noch senffarbene Bänder und eine gelbe Kordel annähen, mit der man das Bavolet im Nacken zusammenraffen konnte. Obwohl Honor anfangs von der Farbkombination nicht überzeugt gewesen war, musste sie angesichts der fertigen Haube zugeben, dass das Gelb dem Grau schmeichelte, gleichzeitig aber zart genug war, um die Haube nicht grell wirken zu lassen. Nur die Farbe der Bänder war ihr ein wenig zu aufdringlich. Belle hatte sicher einen ungewöhnlichen Geschmack, doch sie wusste, wie man schöne Effekte erzielte.
    Als es im Laden ruhiger wurde, brachte Belle ihr eine Blechtasse

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