Die englische Freundin
wusste sie, dass der Mann aus dem Schuppen verschwunden war. Die Atmosphäre hatte sich verändert, und auch Belle wirkte entspannter. Sie schaute auf das Buch in Honors SchoÃ. »Ich gehe nicht oft in die Kirche«, sagte sie. »Der Pfarrer und ich sind in fast allem unterschiedlicher Meinung. Aber wenn du in den Gottesdienst möchtest, bringe ich dich gern hin. Du hast die Wahl zwischen Kongregationalisten, Presbyterianern und Methodisten. Ich an deiner Stelle würde zu den Kongregationalisten gehen, das sind die besten Sänger, ich habe sie von drauÃen gehört.«
»Nein, ich muss nicht in die Kirche.«
Während Belle in ihrem Stuhl schaukelte, schlug Honor die Bibel auf und versuchte sich zu erinnern, was sie zuletzt gelesen hatte, als sie vor einer gefühlten Ewigkeit am Totenbett ihrer Schwester gesessen hatte. Sie schweifte von Vers zu Vers und von Seite zu Seite und konnte sich nicht konzentrieren.
Belles Schaukeln wurde schneller. »Was ich schon immer über die Quäker wissen wollte â¦Â«, hob sie an und lieà die Zeitung sinken.
Honor blickte auf.
»Ihr sitzt einfach da und schweigt, oder? Keine Lieder, keine Gebete und auch kein Prediger, der eure Gedanken lenkt. Warum?«
»Wir warten und lauschen.«
»Und worauf?«
»Auf Gottes Stimme.«
»Könnt ihr Gott nicht in einer Predigt oder einem Kirchenlied hören?«
Honor musste daran denken, wie sie einmal in Bridport vor der Kirche St. Mary gestanden hatte, die sich genau gegenüber des Andachtsraums der Quäker auf der anderen StraÃenseite befand. Die Gemeinde hatte gesungen, und einen kurzen Moment lang hatte Honor sie um die Musik beneidet.
»Wenn alle schweigen, ist man weniger abgelenkt«, erklärte sie. »Lang anhaltendes, achtsames Schweigen ermöglicht einem Menschen, tief in sich hineinzuhorchen. Wir nennen es âºAufmerksames Warten in der Stilleâ¹.«
»Denkst du dann nicht einfach daran, was es mittags zum Essen geben wird oder was über andere im Ort geredet wird? Ich würde vermutlich an den nächsten Hut denken, den ich machen will.«
Honor lächelte. »Manchmal denke ich an den Quilt, an dem ich gerade arbeite. Es dauert eine Weile, bis man den Geist von alltäglichen Gedanken gereinigt hat. Aber es hilft, in Gemeinschaft mit anderen zu warten und die Augen zu schlieÃen.« Sie suchte nach den richtigen Worten, um Belle zu erklären, was sie in der Andacht fühlte. »Wenn der Geist klar wird, richtet sich der Blick nach innen, und man versinkt in tiefer Stille. Man spürt Frieden und eine Kraft, die einen trägt. Wir nennen sie auch das Innere Licht.« Honor unterbrach sich kurz. »Seit ich in Amerika bin, habe ich es nicht mehr gespürt.«
»Warst du in Amerika auch schon in einer Andacht?«
»Nur einmal. Grace und ich haben eine Andacht in Philadelphia besucht. Es war ⦠es war anders als bei uns in England.«
»Schweigt man nicht überall gleich?«
»Es gibt verschiedene Arten von Schweigen â manchmal ist es achtsam, manchmal nicht. In Philadelphia war ich abgelenkt und unaufmerksam, ich habe an dem Tag keinen inneren Frieden gefunden.«
»Ich dachte immer, die Quäker in Philadelphia seien die besten, die es gibt. Richtige Superquäker.«
»In solchen Kategorien denken wir nicht. Aber â¦Â« Honor zögerte. Eigentlich mochte sie es nicht, Freunde vor Nichtquäkern zu kritisieren, doch nun hatte sie den Satz angefangen und musste ihn auch beenden. »Der Andachtsraum in der Arch Street ist riesig, denn in Philadelphia gibt es sehr viele Freunde. Als Grace und ich eintraten, gab es kaum noch freie Plätze. Wir haben uns auf eine der wenigen leeren Bänke gesetzt und wurden gebeten, uns einen anderen Platz zu suchen. Es hieÃ, wir säÃen auf einer Negerbank.«
»Was ist das?«
»Eine Bank nur für die schwarzen Freunde.«
Belle hob die Augenbrauen. »Wie? Es gibt auch farbige Quäker?«
»Ja. Ich wusste es auch nicht. In die Andacht ist damals keiner gekommen, und die Bank blieb leer, obwohl es in den anderen Reihen eng und ungemütlich wurde.«
Belle sagte nichts, sondern wartete.
»Es hat mich überrascht, dass die Freunde dort auf getrennte Plätze bestanden. Die Schwarzen sind schlieÃlich genauso Freunde wie alle anderen.«
»War es das, was dich an dem Tag von Gott ferngehalten
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