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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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ändert sich auch das, wenn ich die Menschen hier etwas besser kenne.
    Die Stadt ist von Wäldern umgeben, nur hier und da führt die Straße an Höfen vorbei, die aus dem Wald herausgeschlagen wurden. Bevor ich nach Amerika kam, hatte ich keine Vorstellung davon, wie schwer es ist, den Wäldern Ackerland abzuringen. Überall stehen Holzstümpfe herum. In England hat alles seine Ordnung, man hat das Gefühl, Gott habe den Bäumen, Wiesen und Feldern ihre festen Plätze zugewiesen. Die Felder schienen immer schon da gewesen zu sein und mussten nicht erst gerodet werden. Wenn ich aus dem Fenster meiner kleinen Kammer auf den Wald schaue, kommt es mir vor, als kröche er auf die Stadt zu und ließe sich nur für kurze Zeit von den Äxten in Schach halten. Ihr wisst, dass ich Bäume immer gemocht habe, aber hier gibt es sie in einer derart überwältigenden Fülle, dass sie fast bedrohlich auf mich wirken.
    Im Gemischtwarenladen werden nur die wichtigsten Artikel des täglichen Bedarfs angeboten. Was der Krämer nicht führt, müssen wir im drei Meilen entfernten Oberlin kaufen. Oberlin ist mit seinen zweitausend Einwohnern wesentlich größer und hat auch ein gut besuchtes Studienkolleg. Ich war selbst noch nicht dort, doch Adams Laden befindet sich in der Stadt, und er fährt fast jeden Tag hin. Wenn Faithwell einmal groß genug ist, möchte er mit dem Laden umziehen und vor allem an Freunde verkaufen, aber das wird noch eine Weile dauern. Adam hat gesagt, dass ich im Laden aushelfen kann, wenn es viel zu tun gibt, und ich freue mich schon darauf, mich nützlich machen zu können.
    Das Leben scheint mir hier gefährlicher zu sein als daheim in England, doch vielleicht liegt das daran, dass ich nur Bridport kenne: In Dorchester oder Weymouth mag es anders aussehen. In den amerikanischen Städten, die ich auf meiner Reise kennengelernt habe, und besonders hier in Faithwell, habe ich immer das Gefühl, ganz auf mich allein gestellt zu sein. Man kann sich nicht auf andere verlassen, weil nicht immer jemand da ist, der einem helfen könnte. Die meisten Menschen bauen wie wir ihr eigenes Gemüse an, aber es verkauft dir niemand einen Salat, falls dein eigener von den Kaninchen gefressen wurde, wie es Abigail gerade passiert ist. Es gibt dann eben einfach keinen Salat. Viele Leute hier halten sich eine eigene Kuh. Abigail und Adam haben zwar keine Kuh, dafür aber Hühner. Milch und Käse kaufen wir auf einem Hof in der Umgebung.
    Ich habe Euch nur ein unvollständiges Bild von Faithwell gezeichnet. Noch habe ich meinen Platz in dieser Gemeinde nicht gefunden, doch mit Gottes Hilfe und der Unterstützung der Freunde wird es mir hoffentlich gelingen. Seid bitte versichert, dass ich unversehrt angekommen bin und dass gut für mich gesorgt wird. Ich habe ein Bett, satt zu essen und bin von freundlichen Menschen umgeben. Gott ist noch mit mir. Für all das bin ich dankbar, doch obwohl ich keinen Grund zur Klage habe, muss ich oft an Euch denken. Es ist zwar noch viel zu warm für eine Decke, trotzdem habe ich den Signaturquilt über das Fußende meines Bettes gelegt. Jeden Morgen und jeden Abend berühre ich die Signaturen von all denen, die mir lieb und teuer sind.
    Eure Euch liebende Tochter,
Honor Bright

Applikationen
    Sie konnte nicht bleiben. Das wusste Honor bereits eine halbe Stunde nach ihrer Ankunft in Adams und Abigails Haus. Es war nicht die unordentliche Küche, in deren Spülbecken sich noch das Geschirr vom Mittagessen stapelte, oder der Dreck im ungefegten Flur; es war auch nicht das ungenießbare Abendessen oder die von den schlecht ziehenden Öfen verrauchte Luft. Weder der Mäusekot, den sie in der Vorratskammer entdeckte, noch die Spinnweben oben in den Zimmerecken oder die winzige, nur mit einem Bett ausgestattete Kammer, in die Adam sie führte, schreckten Honor ab. Das alles hätte sie ertragen können.
    Sie konnte nicht bleiben, weil Abigail sie nicht bei sich haben wollte. Matthews Witwe war eine stämmige, große Frau mit hoher Stirn und dunkel brennendem Blick. Ihre Schultern waren breit, Fesseln und Handgelenke kräftig. Als Honor ins Haus trat, umarmte Abigail sie, doch in der Berührung lag keine Wärme. Nach der ungenießbaren Mahlzeit, die sie Honor vorgesetzt hatte, glaubte sie sich offenbar für alles im Haus verteidigen zu müssen, denn während sie Honor herumführte,

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