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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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meiner Schwester steht dir gut«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Als Kinder hatten wir eine Decke in genau den gleichen Farben.« Er schnalzte mit der Zunge und galoppierte davon.
    Honor wünschte, er würde nicht solche Dinge zu ihr sagen.
    In der Ferne näherte sich ein anderer Wagen. Honor half Adam auf die Füße, um ihm die Schmach zu ersparen, vor Fremden im Dreck zu liegen. Er hielt immer noch sein Handgelenk umklammert.
    Â»Gebrochen oder verstaucht?«, fragte sie.
    Â»Ich glaube, zum Glück nur verstaucht. Es muss aber bandagiert werden.« Adam schüttelte den Kopf, als er Honors Habseligkeiten im Wagen verstreut liegen sah. »Was hat er gesucht? Er weiß, dass wir weder Alkohol noch Tabak besitzen oder überhaupt irgendetwas von Wert.« Fassungslos blickte er Honor an, die seinen Hut vom Straßenrand aufgehoben hatte und den Staub herausklopfte.
    Â»Er sucht einen entflohenen Sklaven«, sagte Honor und reichte ihm den Hut.
    Adam starrte sie wortlos an, bis er für den herannahenden Wagen zur Seite treten musste.
    Auch während Honor seine Hand mit einem ihrer Halstücher bandagierte, sagte er kein Wort. Erst als sie wieder auf dem Kutschbock saßen und weiter in Richtung Faithwell fuhren, räusperte er sich. »Mir scheint, du gewöhnst dich schnell an die Sitten der Amerikaner.« Erfreut klang es nicht.

Faithwell, Ohio
    5. des 6. Monats, 1850
    Liebe Mutter, lieber Vater,
    die Reise von Bridport nach Faithwell war sehr lang. Nach den letzten Wochen war es eine Erleichterung, mich hier in Faithwell endlich in ein Bett legen zu können, von dem ich mich nicht schon am nächsten Tag wieder verabschieden musste. Noch schöner aber war es, Post von Euch vorzufinden. Adam Cox sagte mir, der Brief sei schon vor zwei Wochen eingetroffen. Wie kann das sein? Schließlich hat der Brief die gleiche Reise gemacht wie ich, warum ist er dann so viel schneller angekommen? Als ich Deine Handschrift sah, Mutter, musste ich weinen. Dann sagte mir ein Blick auf das Datum, dass Eure Worte und auch die beschriebenen Ereignisse schon über zwei Monate alt sind. Doch obwohl der Brief nur eine Woche nach meiner Abreise geschrieben wurde, habe ich alle Neuigkeiten, die er enthielt, gierig aufgesogen, denn sie gaben mir das Gefühl, immer noch zu Hause zu sein und am Leben der Gemeinde teilzunehmen.
    Leider muss ich Euch mitteilen, dass Matthew Cox verstorben ist. Vor vier Wochen hat die Schwindsucht den Sieg über ihn errungen. Der Haushalt in Faithwell, zu dem ich jetzt gehöre, sieht also völlig anders aus als erwartet. Statt aus zwei verheirateten Paaren und mir besteht er nun aus drei Menschen, die nur durch schwache Bande miteinander verbunden sind. Das macht das Zusammenleben nicht unbedingt einfacher, allerdings bin ich auch gerade erst angekommen und hoffe, mich bald etwas heimischer zu fühlen und nicht mehr wie ein Gast. Adam und Matthews Witwe Abigail haben mich freundlich aufgenommen, doch der Tod von Grace war ein fürchterlicher Schock für Adam, der sich natürlich auf die Hochzeit und das neue Leben mit seiner Frau in Ohio gefreut hatte. Noch dazu sind sie von meiner Ankunft überrascht worden, denn der Brief, in dem Grace Adam mitteilte, dass ich sie nach Amerika begleiten würde, ist niemals angekommen.
    Oft ertappe ich mich bei dem Gedanken, wie Grace sich in so einem Fall verhalten hätte. Sicher hätte sie die schwierige Situation mit ihrem Lachen und ihrer unkomplizierten Art entschärft. Ich versuche, sie nachzuahmen, was mir aber schwerfällt.
    Adams Haus in Faithwell – oder besser Abigails Haus, denn es hat ihr und Matthew gehört – ist ganz anders als die Häuser, die ich gewohnt bin. Seit ich hier lebe, habe ich das Gefühl, eine andere Art Luft zu atmen als in England. Ich bewege mich auch anders in ihr. Kann ein Haus die Beschaffenheit der Luft verändern? Es ist ein neues Haus und wurde erst vor drei Jahren aus rohem Kiefernholz gebaut, das noch nach Harz riecht. Mir kommt es vor, als würde ich in einem Puppenhaus wohnen: Dem Holz fehlt die Stabilität von Stein, der mir in unserem Haus in der East Street immer ein Gefühl von Sicherheit gab. Hier dagegen knarzt und knarrt es die ganze Zeit, weil das Holz auf den Wind und die feuchte Luft reagiert. Das Wetter ist schwül, und im Sommer soll es noch schlimmer werden. Bis auf mein Zimmer sind alle Räume sehr großzügig

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