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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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ratterte sie eine Liste von Entschuldigungen herunter. »Pass auf, dass du nicht über den Teppich dort stolperst. Er müsste dringend festgenagelt werden, nicht wahr, Adam?« »Normalerweise raucht die Lampe nicht, aber dein Kommen hat mich in solche Aufregung versetzt, dass ich vergessen habe, sie zu schneuzen.« »Ich hätte noch gefegt, aber ich wusste ja, dass du mit deiner Truhe nur frischen Dreck hereinbringst und ich dann noch einmal hätte fegen müssen.« Abigail hatte die Gabe, alles so darzustellen, dass immer andere die Schuld an den Missständen im Haushalt traf, nie sie selbst. Honor bekam schon ein schlechtes Gewissen, nur weil sie da war.
    Als Kind hatte Honor gelernt, dass jeder Mensch sein eigenes Maß Inneres Licht in sich trage. Den einen sei zwar mehr, den anderen weniger geschenkt, doch jeder Mensch müsse versuchen, seinem Anteil Licht so gut wie möglich gerecht zu werden. Honor hatte den Eindruck, dass Abigail nur ein bescheidenes Maß Inneres Licht vergönnt war und sie noch nicht einmal diesem gerecht wurde. Natürlich konnte man ihr die dunkle Stimmung nachsehen, schließlich hatte sie ihren kranken Mann lange gepflegt und dann doch verloren; trotzdem vermutete Honor, dass Abigail die Unfreundlichkeit im Wesen lag.
    Adam Cox versuchte nicht, Honor beizustehen oder ihr das Gefühl zu vermitteln, bei ihnen willkommen zu sein. Still und ernst zog er sich immer mehr in sich selbst zurück. Honor vermutete, dass ihm der doppelte Verlust von Bruder und Verlobter sehr naheging. Obwohl die Brautwerbung fast ausschließlich auf dem Briefweg stattgefunden hatte, musste er sich auf die Ankunft einer lebhaften, hübschen Frau gefreut haben. Und jetzt hatte er stattdessen deren schweigsame Schwester und eine mürrische Schwägerin am Hals.
    Nur einmal wurde er unvermutet lebendig. Als sie nach dem Abendessen zusammen auf der Eingangsveranda saßen, wollte Abigail von Honor wissen, warum sie nach Ohio gekommen sei. »Adam hat mir von der Familie seiner Verlobten erzählt«, sagte sie und wippte dabei hektisch in ihrem Schaukelstuhl vor und zurück. Die Hände hatte sie müßig im Schoß verschränkt, denn zum Nähen war es zu dunkel. »Er hat gesagt, du wollest bald heiraten. Warum bist du dann hier?«
    Adam setzte sich auf, als hätte er die ganze Zeit darauf gewartet, dass Abigail dieses schwierige Thema anschnitt. »Ja, Honor, was ist mit Samuel passiert? Ich dachte, ihr beiden wärt euch einig gewesen?«
    Honor zuckte zusammen, obwohl sie damit gerechnet hatte, dass ihr diese Frage irgendwann gestellt würde. »Er hat eine andere kennengelernt«, antwortete sie so knapp wie möglich.
    Adam runzelte die Stirn. »Wen?«
    Â»Eine … eine Frau aus Exeter.«
    Â»Aber ich stamme aus Exeter und kenne die meisten Freunde dort. Wer ist es?«
    Honor schluckte gegen den Knoten in ihrem Hals an. »Sie ist keine Freundin.«
    Â»Er hat eine Andersgläubige geheiratet?« Abigail kreischte beinahe.
    Â»Ja.«
    Â»Sicher haben die Freunde in Bridport ihn aus der Gemeinschaft ausgeschlossen«, vermutete Adam.
    Â»Ja. Er ist nach Exeter gezogen und dort der anglikanischen Kirche beigetreten.« Das war das Schlimmste. Dass Samuel sie nicht mehr liebte, hätte Honor vielleicht akzeptieren können. Aber dass er sogar bereit war, die Glaubensgemeinschaft zu verlassen, die sie als festes Fundament ihres Lebens empfand, war ein Schlag, von dem sie sich wohl niemals erholen würde. Als Grace ihr dann anbot, mit nach Amerika zu kommen, musste Honor nicht mehr lange nachdenken, sondern sich nur die Verlegenheit in den Augen von Samuels Eltern vorstellen und die mitleidigen Blicke aller anderen. Es gab wirklich keinen Grund zu bleiben.
    Beim Gedanken an Samuel hatten sich Honors Hände in ihrem Schoß verkrampft. Sie atmete tief durch und versuchte die Finger zu lockern, doch die Knöchel blieben weiß.
    Abigail schüttelte den Kopf. »Das ist ja entsetzlich.« Es klang fast ein wenig hämisch, doch dann verfinsterte sich ihre Miene. Vielleicht wurde ihr gerade bewusst, dass sie genau diesen Umständen den unwillkommenen Gast verdankte. Ihr hartherziger Blick gab Honor wieder einmal das Gefühl, die alleinige Schuld an allem zu tragen.
    Als sie später am Abend in ihrem winzigen Schlafzimmer lag, kuschelte sich Honor trotz der warmen Temperaturen trostsuchend in den

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