Die englische Freundin
angelegt, denn Land zum Bauen gibt es in Amerika mehr als genug. Das Haus hat zwei Stockwerke, und weil die Bretter und Balken so knarren, hört man jeden Schritt, besonders wenn sich jemand im oberen Stockwerk aufhält. Unten gibt es ein Wohnzimmer, die Küche und das Krankenzimmer â so nennen die Amerikaner einen an die Küche grenzenden Raum, in dem die Kranken der Familie untergebracht und gepflegt werden. Offenbar sind die Menschen hier so oft krank und haben Fieber, dass sie dieses besondere Zimmer brauchen. Nach allem, was ich gerade mit Grace erlebt habe, beunruhigt mich das.
Oben gibt es drei Schlafzimmer: Im gröÃten hat Abigail mit ihrem Mann gewohnt, das nächstgröÃere wollte sich Adam mit Grace teilen, und eine dritte, winzige Kammer war für das Baby vorgesehen, das vielleicht eines Tages gekommen wäre. In dieser Kammer bin jetzt ich untergebracht, doch es soll nur eine vorübergehende Lösung sein, obwohl ich nicht weiÃ, wie eine endgültige Lösung aussehen könnte. Der Platz im Zimmer reicht gerade für ein Bett, doch das macht mir nichts aus, denn wenn ich die Tür hinter mir zumache, ist es mein Reich. Die Möbel im Haus haben etwas Provisorisches, wie in vielen anderen amerikanischen Häusern, in denen ich gewesen bin â als habe man schnell ein paar Stücke zusammengezimmert, bis Zeit ist, etwas wirklich Solides anzufertigen. Ich bin immer ganz vorsichtig, wenn ich mich auf einen Stuhl setze, weil ich Angst habe, er könnte unter mir zusammenbrechen. Die Tischbeine stecken voller Holzsplitter, weil sie nicht ordentlich abgeschliffen und poliert wurden. Die meisten Möbel sind aus Ahorn oder Esche, und ich vermisse unsere robusten, zeitlosen Eichenmöbel.
Die Küche gleicht im GroÃen und Ganzen unserer Küche in der East Street. Es gibt eine offene Feuerstelle, einen Herd, einen langen Tisch und Stühle, ein Büfett mit Töpfen und Geschirr und eine Vorratskammer. Trotzdem fühle ich mich in ihr ganz anders als in unserer Küche daheim. Zum Teil liegt es daran, dass Abigail nicht so ordentlich ist wie Du, liebe Mutter. »Alles hat seinen Platz und gehört an seinen Platz«, so hast Du es mir doch beigebracht, aber bei Abigail gilt das anscheinend nicht. Das Holz stapelt sie so planlos, dass es nicht richtig trocknen kann, der Besen blockiert den Zugang zum Schmutzwassereimer, statt aufgeräumt in einer Ecke zu stehen. Die Krümel werden nicht weggefegt und ziehen Mäuse an. Das Geschirr steht in einem beliebigen Durcheinander auf dem Büfett, statt ordentlich gestapelt zu werden. AuÃerdem werden Herd und Kamin mit Holz gefeuert, sodass immer Holzrauch in der Küche steht, der nicht den satten, erdigen Geruch von brennender Kohle hat. Wir müssen zwar keinen Kohlenstaub wegputzen, aber Holzasche kann genauso viel Arbeit machen, vor allem, wenn Abigail sich ungeschickt anstellt.
Leider stand meine erste Begegnung mit Abigail unter keinem guten Stern. Zu meiner Ankunft servierte sie eine Fleischpastete: Das Fleisch war zäh und der Teigmantel hart. Ich habe natürlich kein Wort gesagt und alles so gut wie möglich durchgekaut, doch Abigail war es peinlich. Gleich am nächsten Morgen hat sie sich noch einmal blamiert, weil sie mir saure Milch gab. Ich hoffe, dass ich ihr mit taktvollen Hinweisen und Veränderungsvorschlägen mit der Zeit eine Hilfe sein kann.
Auch die Stadt habe ich schon ein wenig erkundet, wobei »Stadt« eine recht stolze Bezeichnung für diese Häuserreihe entlang eines zerfurchten Fahrwegs ist. Bridport ist etwa hundertmal so groÃ. Es gibt einen Gemischtwarenhändler â wir würden ihn Krämer nennen â, eine Schmiede, den Andachtsraum, zehn Häuser und in den Feldern der Umgebung noch ein paar Höfe. Die Gemeinde besteht aus ungefähr fünfzehn Familien. Die meisten sind aus North Carolina hergezogen, weil sie nichts mehr mit der Sklaverei zu tun haben wollten, die hier fest in der Gesellschaft verankert ist. Ich hatte noch keine Gelegenheit, in Faithwell eine Andacht zu besuchen, doch die Menschen, die ich kennengelernt habe, sind freundlich, wenn auch sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Das scheint mir bei den meisten Amerikanern der Fall zu sein. Die Kunst der Konversation betreiben sie ganz anders als wir Engländer. Sie sind dabei von einer Direktheit, die an Unhöflichkeit grenzt. Doch vielleicht
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