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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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nicht geregnet, sodass es immer noch schwülheiß war. Als sie auf dem Wagen der Haymakers die Main Street entlang in Richtung Süden fuhren, hörten sie es in der Ferne donnern. Der Himmel im Westen war bereits dunkel. Jack blickte Honor von der Seite an: »Keine Angst, das ist noch weit weg. Ich werde dich zu Hause abliefern, bevor es anfängt.«
    Â»Ich habe keine Angst«, sagte Honor, obwohl das nicht ganz stimmte. Amerikanische Gewitter waren viel dramatischer als alles, was sie in England jemals erlebt hatte. Die Luft wurde im Lauf des Tages immer schwerer und schwüler, bis die Spannung kaum noch auszuhalten war und man sich fast schon nach dem Donnern und Blitzen in der Ferne sehnte, das Erleichterung versprach. Von einem Moment zum nächsten rauschte dann der Regen aus dichten schwarzen Wolken, und Blitze zuckten gleichzeitig mit laut krachendem Donner über den Himmel. Wenn das Gewitter direkt über einem stand, war es laut, unbarmherzig und brutal. Zum Glück war Honor in Ohio noch nie draußen von einem Gewitter überrascht worden, und sie war auch nicht begierig darauf, diese Erfahrung zu machen. Adams geliehener Buggy wäre sicher schneller gewesen als der Wagen der Haymakers, oder sie hätten das Gewitter in der Sicherheit des Ladens abwarten können, doch sie konnte Jack kaum bitten, umzukehren.
    Als sie an der Mill Street vorbeifuhren, sah Honor dort Mrs Reed um die Ecke biegen. Sie blickte zu ihnen hinüber, und als sie erkannte, dass Honor und Jack nebeneinandersaßen, nickte sie, ohne zu lächeln. Dieses Mal war ihr Strohhut mit Sträußen aus winzigen weißen Blumen geschmückt, die Honor am Straßenrand hatte wachsen sehen.
    Â»Kennst du sie?« Jack klang nicht besonders erfreut.
    Â»Sie ist eine Kundin. Was sind das für Blumen an ihrem Hut?«
    Â»Weißer Beinwurz. Man nimmt ihn zur Behandlung von Fieber. Gibt es den in England nicht?«
    Â»Vielleicht schon. Die Blumen sehen hier nur ganz anders aus, selbst wenn sie dieselben Namen haben wie bei uns.«
    Jack brummte etwas. In der Ferne grollte wieder der Donner, diesmal lauter.
    Neben Jack auf dem Wagen zu sitzen, war etwas völlig anderes als neben Adam oder dem alten Thomas, der sie aus Wellington hergebracht hatte. Noch nicht einmal mit Samuel hatte sich Honor so gefühlt, wenn sie früher nebeneinander hergegangen waren. Es lag nicht nur daran, dass Jack selbst dann noch nach frischem Heu roch, wenn er von der Arbeit eines Tages verdreckt und verschwitzt war. Da war noch etwas anderes, eine Art tiefe und wortlose Verbindung zwischen ihr und Jack. Es war eine völlig neue Erfahrung für Honor, und sie hatte das Gefühl, als sei die Luft um sie herum von einer elektrischen Spannung aufgeladen. Sie spürte Jacks Nähe fast schon als körperlichen Schmerz. Honor registrierte jeden einzelnen seiner Atemzüge, jede Kopfbewegung, jedes Schulterrollen und jede Drehung der Handgelenke, wenn er den Pferden Zügelparaden gab. Jack hatte die Hemdsärmel hochgekrempelt, und ihre Augen ruhten auf den blonden Haaren seines nackten Unterarms, die alle in dieselbe Richtung zeigten wie Weizen im Wind.
    Das muss Begehren sein, dachte sie, und ihre Wangen brannten vor Scham. Ihre Gefühle für Samuel waren anders gewesen, nicht so schmerzhaft intensiv. Sie hatten sich seit ihrer Kindheit gekannt, und er war ihr mehr wie ein Bruder gewesen. Doch vielleicht hatte Samuel für die Frau in Exeter solche Gefühle gehabt. Zum ersten Mal erlaubte Honor sich, ganz ruhig über Samuels Gefühle und Beweggründe nachzudenken.
    Â»Der Mais wächst gut«, kommentierte Jack, als sie an den Feldern vorbeikamen, die zwischen Oberlin und Faithwell aus dem Wald herausgeschlagen worden waren. Viel mehr sagte er während der halbstündigen Fahrt nicht. Einmal beruhigte er Honor noch, dass die Blitze noch nicht näher gekommen seien, ansonsten summte er leise eine Melodie vor sich hin, die sie nicht kannte.
    Vor Abigails Haus – Abigail saß mit großen Augen auf der Eingangsveranda – bedankte sich Honor bei Jack für die Fahrt. Als er ihr vom Wagen half, blieb seine Hand länger als nötig unter ihrem Ellbogen liegen. »Wir waren schneller als das Gewitter, eh?«
    Obwohl Honor nach dem langen Tag in Adams Laden schon am Nachmittag hungrig gewesen war, aß sie an diesem Abend nichts. In der Nacht schlief sie schlecht. Das Gewitter war

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