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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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reagierte die Gemeinde mit überraschtem Gemurmel. Honor zuckte zusammen und wurde rot, als sie das unterdrückte Schluchzen von Dorcas’ Freundin Caroline hörte, die sie schon beim Quiltkränzchen feindselig angestarrt hatte. Honor wusste von ihr nur, dass sie die Tochter eines Bauern war. In einer so kleinen Gemeinde wie Faithwell war einem Mann im heiratsfähigen Alter wie Jack sicher schon eine geeignete Frau zugedacht gewesen – sowohl von der Gemeinde als auch den Familien. Nun musste Caroline entweder schnell einen anderen heiraten – zum Beispiel einen Mann aus einer benachbarten Quäkergemeinde wie dem zwanzig Meilen entfernt gelegenen Greenwich – oder mit Verwandten weiter in Richtung Westen ziehen, nach Iowa, Wisconsin oder Missouri. Honor ertrug es nicht, in Carolines erschüttertes Gesicht zu blicken, und schloss die Augen. Es tut mir leid, sagte sie in Gedanken und hoffte, die Entschuldigung würde den Raum durchqueren und Caroline erreichen. Es tut mir leid, doch diese Heirat ist die einzige Möglichkeit für mich, hier meinen Platz zu finden. Sie ist mein rettendes Ufer.
    Als sich die Gemeinde von den Bänken erhob, rannte Caroline als Erste aus dem Andachtsraum. Dorcas wollte ihr folgen, blieb jedoch stehen, als Judith Haymaker eine Hand auf ihren Arm legte. Die Tochter hinter sich herziehend, kam Judith auf Honor zu. Alle Blicke im Raum ruhten jetzt auf ihr und ihrer zukünftigen Schwiegermutter. Honor faltete die Hände, um sie nicht verkrampft zu ringen, und blickte ihrer neuen Familie offen entgegen. Ihr blieb keine andere Wahl – schließlich konnte sie nicht ein Leben lang den Blick gesenkt halten.
    Judith trug ein dunkelgraues Kleid und eine mit weißen Bändern festgezurrte flache weiße Haube. Trotz der Hitze schwitzte sie nicht. Ihre Schultern waren breit wie die eines Mannes, und die Muskeln an ihren Unterarmen traten vom jahrelangen Melken deutlich hervor. Um ihre Mundwinkel stand wie immer das eingemeißelte Lächeln, doch mittlerweile wusste Honor, dass es keine Wärme enthielt. »Komm nach dem Essen mit Adam vorbei«, sagte Judith. »Es gibt viel zu besprechen.«
    Honor nickte. Ihr fiel auf, dass Judith sie nicht zum Essen eingeladen hatte, doch das machte nichts – sie hätte in Gegenwart der älteren Frau ohnehin keinen Bissen heruntergebracht.
    Die Quilts schienen für Judith Haymaker das Wichtigste zu sein.
    Honor war schon öfter mit Abigail zum Milchkaufen bei den Haymakers gewesen, doch sie hatte sich nie vorstellen müssen, was es bedeutete, auf einem Bauernhof wie dem der Haymakers zu leben. Als sie nun mit Adam den Weg in Richtung Westen zum Hof der Haymakers ging, brachte sie jeder Schritt von der überschaubar geordneten Ortschaft weg und der Wildnis näher. Diesmal sah sie den Hof mit anderen Augen. Die Bauernhöfe in Dorset, die sie kannte, waren alle älter und fest mit der Landschaft verwachsen, während die aus den Wäldern geschlagenen Höfe Ohios wie Fremdkörper in der Landschaft wirkten. Die einzelnen Gebäude waren sorgfältig geplant und aufeinander abgestimmt und nicht wie auf den alten Höfen in England über die Jahre hinweg zusammengewürfelt worden. Alles war aus Holz gebaut, selbst die Grundstücksgrenzen wurden von Lattenzäunen markiert statt von Steinmauern. Umgeben war der Hof von dichten Wäldern. Honor vermisste die überschaubaren grünen Wiesen, die Hügel und kleinen Haine des englischen Landes. Das zweistöckige Holzschindelhaus der Haymakers lag etwas abseits der Straße. Es gab sogar ein kleines Stück Rasen vor dem Haus, was für die Gegend eher ungewöhnlich war, da dafür alle Baumstümpfe entfernt werden mussten. Außerdem erforderte ein Rasen regelmäßiges Gießen und einen Hund, der Kaninchen und Rotwild verscheuchte. Die Haymakers hatten einen Hund: Digger, einen schlauen Englischen Schäferhund, der jetzt knurrend und kläffend auf Honor und Adam zusprang, obwohl er sich immer ruhig verhalten hatte, wenn Honor Milch holen kam. Anscheinend spürte er, dass dieser Besuch anders war, und wusste noch nicht, was er davon halten sollte. Hinter dem Haus befanden sich mehrere Nebengebäude, aus denen eine riesige Scheune herausragte, die viel größer als das Wohnhaus war und deren roter Anstrich bereits verblasste. Das Dach der Scheune fiel steil ab, und eine Erdrampe führte zum

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