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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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den Kopf ein und musterte ihren Maiskolben. Jedes einzelne Korn sah aus wie ein durchscheinender Zahn. Jack nagte bereits an seinem Kolben; er drehte ihn in der Hand und knabberte sich mit krachenden Geräuschen durch den Mais. Honor musste an ein Pferd denken oder an ein Reh, das durchs Unterholz brach. Sie konnte sich nicht überwinden, Jack anzusehen. Weder ihre Brüder noch Samuel oder gar Adam Cox hätten solche Geräusche beim Essen gemacht, doch Jack Haymaker langte herzhaft und unbekümmert zu.
    Als er den abgenagten Kolben auf den Teller warf und sich erhob, um Nachschub zu holen, bemerkte er, dass Honor ihren Mais nicht angerührt hatte. »Magst du keinen Mais?«
    Honor zögerte. »Ich habe noch nie Mais vom Kolben gegessen.«
    Â»Ach, so.« Jack lächelte. »Dann steht dir ein besonderer Ge nuss bevor. Das will ich mit ansehen.« Er blieb vor ihr stehen und blickte mit einem breiten Grinsen auf sie herab. Seine Haare waren verwuschelt, und an seinem Kinn klebte ein Maiskorn. Honor wäre vor Verlegenheit fast im Boden versunken. Wenn sie bis jetzt noch kein allgemeines Aufsehen erregt hatten, dann taten sie es in diesem Moment. Honor wurde puterrot, doch ihr blieb keine andere Wahl. Wenn sie noch länger zögerte, würden die Leute nur noch mehr starren. Sie nahm ihren Maiskolben und drehte ihn in der Hand, als suche sie nach der besten Stelle, um hineinzubeißen.
    Â»Na los, Honor, lass es dir schmecken«, ermunterte Jack sie.
    Honor schloss die Augen und biss in den Maiskolben. Ihre Zähne gruben sich in die Körner. Sie öffnete die Augen. Noch nie hatte sie etwas so Frisches und Süßes geschmeckt. Dies war Mais in seiner reinsten Form, ein Mund voll Leben. Sie drehte den Kolben, biss immer wieder zu und genoss den Geschmack, der so ganz anders war als die vielen Maisgerichte, die sie in den vergangenen Wochen gegessen hatte. Plötzlich konnte sie gar nicht mehr aufhören. In Windeseile nagte sie den Kolben von oben bis unten ab, bis kein Korn mehr übrig war.
    Jack lachte. »Na, das hat gutgetan, was? Willkommen in Ohio, Honor. Soll ich dir noch einen holen?«
    Am Tag nach dem Quiltkränzchen tauchte Jack Haymaker am späten Nachmittag, als es schon ruhiger wurde, im Kurzwarenladen auf. Honor faltete gerade Stoffe, während Adam Cox das Geld in der Kasse zählte. Obwohl Honor sich bemühte, ruhig und gleichmütig zu wirken, war sie zusammengefahren, als Jack in den Laden trat, und ihr Brustkorb fühlte sich plötzlich ganz eng an. Sie begrüßte Jack und konzentrierte sich dann wieder auf den Stoff, den sie um einen Ballen wickelte. Es war die cremefarbene Baumwolle mit den rostroten Rauten, die Mrs Reed vor einem Monat für ihre Tochter gekauft hatte. Bevor sie den Stoff aufräumte, hatte Honor Adam gebeten, sich ein winziges Stück abschneiden zu dürfen, das sie zu den Stoffresten von Graces braunem Kleid und Belles gelber Seide legen wollte.
    Jack wandte sich an Adam, der kurz zu schreiben aufhörte, den Stift aber weiter einsatzbereit über den Rechnungsbüchern schweben ließ. »Ich habe gerade eine Ladung Käse ans College geliefert«, verkündete Jack, »und da dachte ich, ich könnte Honor schon mal mit nach Hause nehmen, wenn du sie nicht mehr brauchst. Sicher ist sie müde nach dem langen Tag im Laden.«
    Adam schaute Jack und Honor an, und die Erleichterung, die ihm plötzlich ins Gesicht geschrieben stand, sagte Honor mehr als alle Worte: Jack machte ihr den Hof, und Adam gab stillschweigend sein Einverständnis. Monatelang war ihr Schicksal ungewiss gewesen, jetzt schien es festgeschrieben zu werden. Doch sicher fühlte Honor sich nicht; ihr war zumute wie in dem Moment, als sie von der Adventurer aufs Dock in New York getreten war und der Boden dort weiter unter ihren Füßen schwankte.
    Â»Aber natürlich«, erwiderte Adam. »Ich schaffe den Rest auch allein.« Er begann wieder zu schreiben. Honor griff nach ihrem Schal, der in der Hitze völlig überflüssig war, aber eine Frau ging nicht ohne Schal aus dem Haus. Der Schal hing an einem Wandhaken hinter Adam, sodass Honors Blick unwillkürlich in Adams Rechnungsbuch fiel: 11 Nadeln geschärft à 1 Cent/Nadel: 11 Cents. 5 Scheren geschliffen à 5 Cents/Schere: 25 Cents. Drei Meter grober Kattun … stand dort. Sie sah die kahle Stelle auf Adams gebeugtem Kopf.
    Am Nachmittag hatte es

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