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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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verschwamm. Sie war schon über zwei Wochen nicht mehr draußen in der Sonne gewesen.
    Die Frau kam nicht zu ihr, sondern verharrte, eine Hand auf den Rand gestützt, neben dem Brunnen. Sie erinnerte Honor an ein Schaf, dem man sich ganz vorsichtig nähern musste, damit es nicht wegsprang; obwohl es einem auch bei aller Vorsicht bestimmt nicht gelingen würde, so nahe an das Tier heranzukommen, dass man es berühren konnte. Als kleines Mädchen hatte Honor es einmal mit viel Geduld geschafft, ein Lamm am Hals zu streicheln. Das Tier war nicht wie erwartet geflohen, sondern hatte die Berührung über sich ergehen lassen. Doch diese Frau sah nicht so aus, als würde sie geduldig stehen bleiben. Jede Faser ihres Körpers war fluchtbereit.
    Honor hätte gern etwas zu der Frau gesagt, wusste aber, dass Gesten in diesem Moment wichtiger als Worte waren. Sie trat näher und hielt der Schwarzen das Brot hin. Die Frau streckte die Hand aus und nahm den Brotkanten mit einem Kopfnicken entgegen, aß ihn aber nicht, sondern ließ ihn in der Tasche ihres Kleides verschwinden. Sie war groß, viel größer als Honor, hatte lange dünne Beine und Arme wie Zaunlatten. Ihr Kleid schien für eine kleinere Person gemacht worden zu sein, denn es reichte ihr nur bis zu den Waden, und ihre schmalen Handgelenke ragten weit aus den Ärmeln heraus. Das Kleid war schmutzig, zerknittert und zerrissen und sah aus, als trüge die Frau es schon seit Wochen Tag und Nacht am Leib. Ihr Gesicht glänzte vor Schweiß, und auf ihrer breiten flachen Nase waren ein paar Pickel zu sehen. Das Weiße in ihren Augen hatte einen gelben Stich, die Augenwinkel waren von eitrigem Schorf verkrustet. Honor fragte sich, ob sie wohl mit ins Haus kommen würde, um sich zu waschen, bezweifelte es aber. Die Frau brauchte schnelle, praktische Hilfe und keine Badewanne.
    Noch bevor Honor etwas sagen konnte, riss die Frau den Kopf herum, als habe etwas in der Ferne wie ein Seil an ihm gezogen. Honor lauschte und vernahm ein Geräusch, das sie schon seit Wochen nicht mehr gehört hatte: die unregelmäßigen Hufschläge eines Pferdes mit einem zu schweren Eisen.
    In den Augen der Frau blitzte es auf. Honor las Verzweiflung in ihnen: Jetzt hatte sie es so weit geschafft, um kurz vorm Ziel geschnappt zu werden. Honor atmete tief durch und überlegte, was sie tun sollte, konnte aber in der Sonne kaum einen klaren Gedanken fassen. Sterne tanzten ihr vor den Augen, sie begann zu schwanken. »Schnell, verstecken Sie sich im Kühlraum«, sagte sie noch, dann gaben die Knie unter ihr nach.
    Als Donovan auf den Hof ritt, lag Honor im Staub auf dem Boden. Er sprang vom Pferd, rannte zu ihr hin, kniete nieder und zog ihren Kopf in seinen Schoß. »Honor, was ist los? Hat dich jemand …« Donovan schaute über den leeren Hof und dann in Honors ausgemergeltes Gesicht. »Hast du die Sommergrippe? Was machst du dann hier draußen, du dummes Kind?«
    Er roch durchdringend nach Schweiß, abstoßend und gleichzeitig berauschend. Honor versuchte nicht, sich aus seinen Armen zu winden. »Ich … ein Huhn ist ausgebrochen. Ich muss es wieder einfangen.« Das stimmte zumindest. Als habe sie Honors Worte gehört, tauchte die Henne wieder vor der Scheune auf, ruckte mit dem Kopf und gackerte Donovan empört an.
    Â»Ich fange es wieder ein, aber zuerst bringe ich dich ins Haus. Wehr dich nicht.« Donovan hievte sie hoch wie einen Sack Mehl und trug sie ins Haus. »Wo sind denn alle?«, fragte er, als er sich in der leeren Küche umschaute.
    Â»Bei der Haferernte.« Honor zeigte in Richtung Krankenzimmer. »Da rein, bitte.«
    Unerwartet behutsam legte Donovan sie aufs Bett. »Honor Bright, was, zum Teufel, machst du hier?«, fragte er dann und ließ sich auf den Stuhl neben ihr sinken. »Ich hab dich schon seit Wochen nicht mehr gesehen und dachte schon, du versteckst dich in dem Quäkerhaus in der Stadt vor mir. Und plötzlich tauchst du hier auf!« Donovan wirkte entrüstet, als sei sie eine schlechte Freundin, die ihn nicht über ihren Umzug informiert hatte.
    Honor holte tief Luft. »Könntest du bitte meinen … meinen Mann holen. Jack Haymaker. Er ist draußen auf dem Feld, nur ein Stückchen die Straße weiter in Richtung Westen. Bitte.«
    Ein seltsamer Ausdruck huschte über Donovans Gesicht, bevor er ihn mit einem anzüglichen Grinsen

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