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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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wollte. Gerade war die jüngste Heuernte eingebracht worden, und die neuen Ballen stapelten sich schon fast bis unter die Decke. Nur der Strohhaufen in einer Ecke des Schobers war noch recht flach. »Wenn wir den Hafer ernten, werden wir auch das Stroh auffüllen«, erklärte Jack seinen beiden Gästen. Honor zog einen Halm aus dem Strohhaufen. Verglichen mit dem Heu, war das Stroh stumpf und tot, man hatte ihm mit den Samen anscheinend auch alles Leben ausgedroschen.
    Das Wohnhaus wirkte ein wenig vertrauter auf Honor. Mittlerweile hatte sie schon einige amerikanische Häuser von innen gesehen und wusste, dass sie dort quadratische Räume, große Fenster, schlichte Möbel aus Eschen-, Fichten- oder Ulmenholz und ovale Flickenteppiche auf den Fußböden vorfinden würde. Judith zeigte Honor und Adam alle Zimmer, einschließlich der Vorratskammer und des kühlen Raums neben der Küche, in dem gekäst wurde. Zu Honors Überraschung führte Judith sie sogar nach oben und ließ sie in jedes einzelne Schlafzimmer blicken, die bis auf die rot-weißen Quilts auf den Betten allesamt karg und schlicht möbliert waren. Honor war überrascht, dass man ihr die Schlafzimmer zeigte. Bei ihr zu Hause galten Schlafzimmer als Privatbereich, den man niemals einem Fremden zeigen würde. Honor blickte Adam an, doch der verzog keine Miene. Auch in Pennsylvania waren Honor und Grace von den Familien, bei denen sie übernachtet hatten, in jedes einzelne Zimmer geführt worden. Die Leute schienen gern zu zeigen, wie sie lebten und was sie besaßen. In England hätte man so ein Verhalten als Angeberei bezeichnet, aber hier war es völlig normal, und Besitz hatte einen ganz anderen Stellenwert. Genau genommen war Honor ja auch keine Fremde: Bald würde sie zur Familie gehören. Sie musste sich daran gewöhnen, dieses Haus als ihr Zuhause zu betrachten.

Faithwell, Ohio
    4. des 8. Monats 1850
    Meine liebe Familie,
    mit diesen Zeilen teile ich Euch mit, dass ich heute Jack Haymaker heirate. Wir werden zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester auf dem Milchviehhof der Familie am Stadtrand von Faithwell leben.
    Ich weiß, dies kommt überraschend, aber ich hoffe, Ihr gebt uns Euren Segen und denkt mit Liebe im Herzen an uns.
    Liebe Mutter, wenn es möglich ist, frage bitte Biddy, ob sie mir den Quilt mit dem »Stern von Bethlehem« zurückgeben kann, und schick ihn mir zusammen mit den Quilts, die ich William und Tante Rachel überlassen habe. Ich brauche sie jetzt. Es tut mir leid, dass ich darum bitten muss, aber die Familie meines Mannes erwartet von mir, genügend Quilts mit in die Ehe zu bringen. Ich hoffe, Ihr versteht das.
    Eure Euch liebende Tochter,
Honor Bright

Fieber
    Ihre erste Nacht als Ehefrau verbrachte Honor nicht im Bett von Jack Haymaker – oder besser: in ihrem Bett, denn so musste sie es ab jetzt nennen. Es war ein langer Tag gewesen. Nach der Hochzeitsandacht hatten die Haymakers die Gemeinde zu einem Festmahl eingeladen, und erst als die letzten Nachbarn gegangen waren und der Himmel bereits die Farbe von Tinte angenommen hatte, konnte Jack seine Frau nach oben und den Flur entlang zum Schlafzimmer führen. »Hier haben wir es bequemer als im Maisfeld«, sagte er lächelnd, als sie vor dem Bett standen, auf dem der weiße Wholecloth ausgebreitet lag. Die Frauen der Gemeinde hatten ihn erst vor ein paar Tagen beim Quiltkränzchen fertiggestellt, und weil sie jede Näherin nehmen mussten, die Zeit hatte, war er flüchtig und schlampig gequiltet worden.
    Jack streifte seine Hosenträger ab und zog das Hemd aus, doch dann fiel ihm auf, dass Honor stocksteif dastand. »Willst du dich nicht ausziehen? Komm, ich helfe dir.« Er nestelte an der Knopfleiste im Rücken ihres Kleides und ließ seine Hand dabei kurz in Honors Nacken liegen. »Du bist ja ganz heiß!«, rief er besorgt. Jack drehte Honor zu sich herum und sah in ihr gerötetes Gesicht. Er setzte sie auf die Bettkante und fühlte ihr Stirn und Wangen. »Seit wann bist du so heiß?«
    Â»Ich … es ist ein heißer Abend.« Das stimmte. Es war so schwül und stickig, dass Honor das fiebrige Gefühl, das sie empfand, einfach für eine Folge des Wetters gehalten hatte. Jack rief nach seiner Mutter und seiner Schwester, und Honor, die sich den ganzen Tag lang zusammengerissen hatte, sackte auf dem Bett zusammen.
    Judith und Dorcas

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