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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Leine im Hinterhof zu hängen. Wenn die Kühe gemolken waren, führte Jack sie auf die Weide hinaus, wo sie tagsüber blieben, und reparierte anschließend Zäune, hackte Holz, lieferte Käse in die Nachbargemeinden, mistete den Schweinestall aus, striegelte die Pferde oder arbeitete auf dem Feld. Er war den ganzen Tag über beschäftigt, und man wusste nie, an welcher Ecke er im nächsten Moment auftauchen würde.
    Doch nach und nach fand Honor kleine Zeitfenster, in denen sie allein sein konnte. Obwohl sie nicht darauf erpicht war, bei den Kühen zu helfen, übernahm sie gerne die Hühner, denn da konnte sie nicht viel falsch machen. Jeden Morgen fütterte Honor sie und sammelte die Eier ein; einmal in der Woche mistete sie das Hühnerhaus aus. Jack und Dorcas melkten indessen, während Judith in der Küche am Herd stand und das Frühstück vorbereitete. Dies war die beste Zeit, um heimlich zur Essenskiste zu laufen. Wenn sie zum Klohäuschen ging oder die Nachttöpfe dort ausleerte, konnte Honor auf dem Weg dorthin einen alten Becher mit Wasser füllen und ihn unter die Kiste oder an den Waldrand stellen. Die Angst, entdeckt zu werden, war ihr ständiger Begleiter. Was sollte sie dann tun oder sagen? Sie wusste es nicht.
    Solange das Wetter mild war, blieben die vorbeiziehenden Flüchtlinge im Wielandwald und wagten sich nur heraus, um unter der Kiste nach Essen zu suchen. Honor sah und hörte sie nicht, es sei denn, sie wurden von Donovan oder einem anderen Sklavenjäger geschnappt. Insbesondere Donovan genoss es, Honor seine Trophäen zu präsentieren: Wenn er einen entlaufenen Sklaven erwischt hatte, ritt er demonstrativ am Hof der Haymakers vorbei, selbst wenn er dafür einen Umweg in Kauf nehmen musste. Oft saß der Gefangene gefesselt hinter Donovan auf dem Pferd und hatte große Mühe, nicht herunterzufallen.
    Als die Haymakers eines Abends auf der Veranda saßen, kam Donovan zum Haus geritten, zog den Hut und stieß den Schwarzen, der hinter ihm saß, vom Pferd. Honor sprang auf, doch Jack packte sie am Arm und hielt sie zurück. »Misch dich nicht ein, Honor, genau darauf ist er aus.«
    Â»Aber der Mann braucht Hilfe. Vielleicht ist er verletzt.« Der entlaufene Sklave lag mit dem Gesicht im Dreck und strampelte mit den Beinen, um sich auf die Seite rollen zu können.
    Â»Für einen Mann wie Donovan wäre es ein Triumph, wenn du zu ihm läufst.«
    Honor runzelte die Stirn.
    Â»Tu, was dein Mann dir sagt«, mischte sich Judith Haymaker in scharfem Ton ein. »Und schau mich nicht so an.«
    Honor zuckte zusammen und blickte Hilfe suchend Jack an, ob er den Befehl seiner Mutter abschwächte. Doch dieser reagierte nicht, sondern beobachtete mit über der Brust verschränkten Armen Donovan.
    Â»Los, Haymaker, hilf mir«, rief Donovan. »Ich hab hier einen besonders lebhaften Gesellen, der mir dauernd ausbüxen will.« Als Jack nicht sofort reagierte, grinste Donovan. »Soll ich dir sagen, wie das Gesetz lautet? Mach ich doch gerne: ›Es ergeht Befehl an alle guten Bürger, der unverzüglichen Vollstreckung dieses Gesetzes tatkräftig Hilfe und Unterstützung zu leisten, wann immer sie dazu aufgefordert werden.‹ Da staunst du, Haymaker, was? Um solche Sätze zitieren zu können, habe ich Lesen gelernt. Jetzt mach mal hin mit ein bisschen Hilfe und Unterstützung, oder willst du, dass ich dich des Gesetzesbruchs beschuldige? Das könnte dir ein paar nette Tage im Kittchen einbringen, und du wärst von deiner hübschen Frau getrennt.«
    Jacks Kiefer verspannten sich. Er sitzt in der Klemme, dachte Honor, genau wie ich. Was ist schlimmer? Keine Prinzipien zu haben oder sich nicht an die eigenen Prinzipien halten zu können?
    Sie stand auf der Veranda und musste mit ansehen, wie ihr Mann Donovan half, den Schwarzen wieder aufs Pferd zu hieven. Das Gesicht des Mannes war angeschwollen und voller Schrammen, und seine Kleider hingen ihm in Fetzen vom Körper. Als Donovan seinem Pferd die Sporen gab, blickte der entflohene Sklave Honor einen kurzen Moment lang in die Augen. Donovan sah es nicht, aber Jack; er schaute seine Frau an, und Honor senkte den Blick. Selbst Blicke waren mittlerweile gefährlich.

Faithwell, Ohio
    30. des 10. Monats 1850
    Liebste Biddy,
    schon seit Wochen will ich Dir schreiben, doch jedes Mal, wenn ich den Stift in die Hand nehme, schlafe ich

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