Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
prächtigen Haus in Bishopsgate arbeiten kannst.« Dafür war es jetzt noch zu früh.
»Das ist gut. Madeline gefällt es hier nämlich.«
Noch mehrere Wochen sprach Madeline in der dritten Person von sich. Kate war sich bewusst, dass die Kleine dadurch eine gewisse Distanz zu ihrem Verlust gewann, und sie unterließ es tunlichst, sie zu verbessern. Kate wusste nur allzu gut, was geschah, wenn man mit Verlust und Schmerz konfrontiert wurde. Sie selbst fing gerade erst an, sich mit ihrer Witwenschaft abzufinden.
Drei Tage nach Winifreds Begräbnis hatte die Gräfin einen Diener geschickt, der Madeline abholen sollte. Er sagte Kate, dass seine Herrin vom Tod der Näherin erfahren und ihr der Hilfsgeistliche von St. Dunstan mitgeteilt habe, dass das Kind gegenwärtig bei ihr lebe.
»Mylady wünscht auch zu wissen, ob das Kind bereits nähen gelernt hat«, hatte der Lakai gesagt.
»Nein, das Mädchen kann noch nicht nähen, aber es ist sehr intelligent. Es lernt gerade lesen und schreiben.«
»Ich denke, dass meine Herrin nur am Nähen interessiert ist. Wenn das Mädchen nicht nähen kann, wird es in der Küche anfangen.«
Und dort enden, dachte Kate.
Sie hatte den Lakaien auf die Zeit nach Neujahr vertröstet und argumentiert, dass Madeline zum einen noch um ihre Mutter trauere und zum anderen noch zu jung sei, um in die Dienste seiner Herrin zu treten. Es bringt nichts, es hinauszuschieben, schalt sie sich, als der Diener gegangen war. Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht? Sie war von der Unterstützung eines Mannes abhängig, der London bald verlassen würde. Wie sollte sie dann für sich selbst, geschweige denn für ein Kind sorgen? Madeline lebte sich in ihrem neuen Zuhause von Tag zu Tag besser ein. Wenn sie es verlassen musste, würde es umso schmerzlicher für sie sein – und zwar für sie beide.
Während das Ende des Jahres immer näher rückte, begann Kate jedes Klopfen an der Tür zu fürchten. Sie erwartete jeden Tag, dass der Lakai der Gräfin wiederkommen könnte, um Madeline abzuholen. Selbst wenn Kate eine Möglichkeit finden würde, das Kind bei sich zu behalten, hatte Winifred nicht von einer Vereinbarung mit der Gräfin gesprochen? War sie damit eine rechtliche Verpflichtung eingegangen? Was sollte sie dem Kind sagen, wenn sie es wegschicken musste? Aber nicht der Lakai der Gräfin stand in der ersten Woche des neuen Jahres vor ihrer Tür.
Nachdem sie aus dem Fenster gesehen hatte, war Kates erster Impuls, nicht zu öffnen. Aber noch bevor sie es verhindern konnte, hüpfte Madeline schon zur Tür und rief:
»Es ist bestimmt der Kapitän. Madeline macht auf.« Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und hob den Riegel mit beiden Händen an. »Oh«, sagte sie enttäuscht. »Du bist nicht der Kapitän.« Stattdessen stand Margaret Roper auf der Schwelle.
Das Mädchen rannte zu Kate und versteckte sich hinter ihrem Rock.
»Ich bin froh, dass Ihr geöffnet habt«, sagte Mistress Roper. »Ich war schon einmal hier. Gleich nachdem Euer Mann … starb … aber Ihr seid nicht da gewesen. Ich habe mir große Sorgen gemacht.« Sie stand in der Tür. Es war kalt, doch Kate bat sie nicht herein.
»Dann hat Euer Vater Euch also nichts gesagt?«
»Er hat mir gesagt, dass Ihr nach London zurückgekehrt seid.«
»Nun, ich bin tatsächlich nach London zurückgekehrt. Der große, mildtätige Sir Thomas hat mich ins Newgate-Gefängnis bringen lassen. Ich saß mit Wahnsinnigen und Verbrecherinnen in einer Zelle, während mein Mann hingerichtet wurde. Und ich wäre noch immer dort, wenn sich nicht ein anständiger Mann für mich eingesetzt hätte.«
»Oh«, sagte Margaret Roper, das Gesicht starr vor Schreck. »Das wusste ich nicht.« Sie streckte die Hand aus, so als wolle sie Kate um etwas bitten. »Mein Vater … wenn Ihr ihn gekannt hättet, bevor … er ist nicht mehr er selbst. Er denkt in letzter Zeit an nichts anderes mehr als an Ketzer, und er redet unablässig von Tyndale.«
»Wenn Ihr, wie Ihr behauptet, tatsächlich in guter Absicht gekommen seid, dann bitte ich Euch, dass Ihr ihn nicht an meine Existenz erinnert.«
»Darf ich bitte hereinkommen? Nur für einen Augenblick?« Kate nickte stumm, woraufhin Margaret Roper über die Schwelle trat und die Tür hinter sich schloss. Kate bot ihr jedoch keinen Platz an. »Ich habe eine sehr harte Lektion über meinen Vater lernen müssen. Ihr könnt sicher sein, dass ich Euch ihm gegenüber nicht mehr erwähnen werde. Ich hoffe, Ihr wisst,
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