Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
Geiseln änderte nichts an den feindseligen Gefühlen, die sie gegen John hegte.
»Wenn John in Schwierigkeiten steckt, braucht er die Hilfe der Männer, die bereitwillig zu ihm halten, aber wenn er nichts zu befürchten hat, wendet er sich bedenkenlos gegen sie«, stellte sie voller Verachtung fest.
»Ich bezweifle, dass er mit deinem Vater noch einmal aneinandergeraten wird. Er weiß, wie beliebt der Marschall ist, und ich denke, er hat begriffen, dass es besser ist, er arbeitet für die Krone, als dass er neutral bleibt oder sogar in die Opposition gedrängt wird.«
Mahelt erhob sich, konnte aber nicht widerstehen, die Worte erneut zu lesen, denn sie zeugten von dem Willen und den Absichten ihres Vaters, auch wenn sie von einem Schreiber verfasst
worden waren. Schließlich drückte sie einen Kuss auf das Pergament und reichte es Hugh widerstrebend zurück, der es zusammenrollte und in seinen Gürtel schob.
»Wenn dein Vater den König berät, besteht zumindest Hoffnung, dass die Staatsangelegenheiten endlich in Ordnung gebracht werden«, meinte er. »Ich mag ja John nicht trauen, aber ich vertraue darauf, dass dein Vater zu unserem Besten handelt.«
27
Salisbury, Wiltshire, Dezember 1212
Fedriger, silberner Raureif überzog das Gras, und die eisige Dezemberluft brannte in den Lungen. Die Abenddämmerung brach langsam herein, der türkisblaue Himmel wölbte sich leuchtend über den schimmernden, weißen Gebäuden des Palastes von Salisbury. Daneben erhob sich die prächtige Westfront der Kathedrale, ein Meisterwerk der Steinmetzkunst, das den Ruhm Gottes preisen sollte. Mahelt, die mit Hugh auf der Palisade stand, blickte zum Himmel empor, an dem die ersten Sterne funkelten. Ihr Herz begann vor Vorfreude schneller zu schlagen.
Sie und ihre angeheiratete Familie verbrachten das Weihnachtsfest in Salisbury. Nach Hughs Meinung waren sie nur eingeladen worden, weil Longespee mit seinem Reichtum prahlen wollte, woraufhin Mahelt ihm einen Rippenstoß versetzt und ihn ermahnt hatte, etwas Toleranz walten zu lassen. Hugh hatte die Brauen gehoben, sich aber aus Selbstschutz jegliche Bemerkung über ihren eigenen Ruf bezüglich dieser Tugend verkniffen.
»Dort.« Er deutete über die Palisade. »Hörst du das?«
Mahelt strengte Ohren und Augen an. Hugh verfügte über die scharfen Sinne eines Fuchses. Dann hörte sie es ebenfalls: das Klirren von Pferdeglöckchen und leise Stimmen. Als sie die Augen zusammenkniff, konnte sie Schatten ausmachen, die sich in der Dämmerung auf den Hügel zubewegten. An der
Spitze der Gruppe trug jemand eine Laterne, weitere leuchteten am Rand der Kolonne und bildeten eine auf und ab tanzende Lichterschlange. Als sie näher kamen, wurden die blau-goldenen Banner von Salisbury sichtbar und das Klirren lauter.
Hugh hob seinen Sohn auf seine Schultern, damit er besser sehen konnte.
»Schau«, sagte Mahelt, »dort unten sind dein Onkel Will und dein Onkel Richard.« Ihre Stimme zitterte leicht.
»Und dein Onkel Longespee«, fügte Hugh sachlich hinzu. Die Bigods waren einen Tag vor dem Earl of Salisbury und seinem großen Gefolge eingetroffen.
»Onkel Will, Onkel Richard«, wiederholte Roger und zeigte eifrig auf die Laternen. Mahelt verließ die Palisade und eilte in den Burghof hinunter, wo Ela bereits wartete. Hugh folgte etwas gemessener, trat zu Mahelt und legte ihr in einer liebevollen Geste eine Hand auf die Schulter. Er wusste, wie viel seiner Frau dieser Moment bedeutete, und spürte, dass sie zitterte. Seine Mutter kam atemlos aus der Kathedrale herbeigehastet, wo sie gebetet hatte. Sie trug ihren besten maulbeerfarbenen Umhang, und ihre Augen funkelten vor Vorfreude auf das Wiedersehen mit ihrem ältesten Sohn.
Die Pferde trabten über den Graben, durch den Torhausbogen und in den Hof hinein. Longespee sprang aus dem Sattel, woraufhin Ela vortrat, um ihn mit einem formellen Knicks zu begrüßen, doch er lächelte, zog sie in die Höhe und küsste sie auf beide Wangen, ehe er seine Bigod-Verwandten höflich willkommen hieß.
Mahelt knickste pflichtgetreu vor ihm, doch ihre Aufmerksamkeit galt allein ihren Brüdern, und sowie sie die Begrüßung Longespees hinter sich gebracht hatte, schlug sie Anstand und Schicklichkeit in den Wind und rannte los, um Will und Richard zu umarmen.
Richard schloss sie in eine ungestüme Umarmung, die ihr den Atem raubte. Es war sechs Jahre her, seit sie ihn zuletzt in Striguil gesehen hatte. Jetzt, als erwachsener Mann von einundzwanzig
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