Die Enklave
genau, was er damit meinte, aber ich erinnerte mich sehr gut, wie schwierig es gewesen war, ihm zivilisiertes Benehmen beizubringen. »Yep.«
»Ungefähr vier Jahre, schätze ich.« Wie den anderen auch, fiel es mir schwer, das zu glauben. Insbesondere jetzt, da ich gesehen hatte, wie es hier draußen zuging. Ich wollte sein Geheimnis lüften, um damit auch meine eigenen Überlebenschancen zu steigern.
Aber er drehte sich weg, um mir mitzuteilen, dass die Unterhaltung beendet war. Dann durchwühlte er seinen Beutel und zog eine kleine Dose hervor. Im Gegensatz zu der, wegen
der wir beinahe Ärger mit dem Worthüter bekommen hätten, schimmerte diese hier blass silbern. Bleich hob den Deckel ab, und ein strenger Geruch schlug mir entgegen. Er war nicht direkt unangenehm, sondern eher … medizinisch. Bleich tauchte seine Finger hinein und verschmierte dann etwas von dem Inhalt der Dose auf meinen Wunden. Es brannte fürchterlich.
»Was ist das?« Das schien mir die sicherste Art, die Unterhaltung weiterzuführen.
»Eine Salbe, die ein Schaffer für mich gemacht hat. Ideal zum Wundensäubern. Keine Ahnung, was drinnen ist.« Er lächelte mich an. »Wahrscheinlich ein Pilz.«
Das überraschte mich: nicht dass er etwas hatte, mit dem man Wunden saubermachen konnte, das wahrscheinlich aus einem Pilz hergestellt war, sondern dass es einen Schaffer gab, der ihn so gerne mochte, dass er etwas eigens für ihn herstellte. »Wer?«
»Ein Mädchen. Heißt Banner.«
Ich kannte sie. Fingerhut hatte von ihr gesprochen, vor meiner Namensgebung. Damals, als ich noch im Schlafsaal für Bälger festsaß, während Stein und Fingerhut schon ihre Parzellen hatten, war ich eifersüchtig, weil Fingerhut sie so sehr mochte. Banner hat mir gezeigt, wie man eine Ledertasche macht, hatte sie mir im Aufenthaltsbereich erzählt. Und ich hatte die Augen verdreht. Tolle Sache, wer wollte schon wissen, wie man eine bescheuerte Tasche macht? Ich würde Jägerin werden, das sagte ich mir jeden Abend, wenn ich zurück zum Schlafsaal trottete, während Stein und Fingerhut sich in ihre Privaträume verkrochen.
»Vielleicht könnte sie für mich auch was davon machen?«
Als das Brennen nachließ, fühlte ich mich besser. Ich spürte, wie das Zeug die Wunde säuberte und sich die Haut straffte. Eine saubere Narbe war mir auf jeden Fall lieber als eine nässende Wunde.
»Warum nicht? Ich werde euch bekannt machen.« Die Wärme in seiner Stimme sagte mir, dass er Banner mochte, im Gegensatz zu uns anderen.
Ich runzelte die Stirn. Zuerst Fingerhut und jetzt Bleich . Ich sollte dieses Mädchen mal kennenlernen, und wenn nur, um herauszufinden, was so toll an ihr war. Und um sie um etwas von dieser Salbe zu bitten. Ich machte mir nichts vor. Es war sicher nicht die letzte Verletzung, die ich mir zuziehen würde. Das heißt, falls wir das hier überlebten.
Ich schnitt einen weiteren Streifen von meinem Hemd ab. Unsere Finger berührten sich, als ich ihm den Stofffetzen gab, und seine Berührung fühlte sich sanft an, als er meinen Arm verband. Eine Strähne löste sich aus meinem Zopf, und Bleich schob die Haare beiseite, um sie nicht mit in den Verband zu knoten. Ich fühlte mich seltsam, als sollte ich mich wegdrehen, jetzt , aber Bleich kam mir zuvor. Ohne es zu beabsichtigen, ohne es zu wollen, beobachtete ich ihn, während er die Salbe wieder verstaute.
Ich war beinahe zu müde zum Essen und machte Anstalten, mich hinzulegen, aber Bleich sagte: »Vergiss es, Jungblut. Iss. Trink. Du musst bei Kräften bleiben, weil ich dich nicht tragen werde.«
»Darum hab ich dich auch nicht gebeten«, murmelte ich.
Ich knurrte innerlich über meinen so offensichtlichen Fehler und holte meinen Proviant heraus. Lustlos machte ich
mich darüber her. Bleich aß mit etwas mehr Begeisterung, aber er war auch schon länger auf Patrouille als ich. Egal wie lange und hart man auch trainierte, nichts ging über echte Erfahrung. Ich würde stärker werden. Ich musste.
»Eigentlich müssten wir beide schlafen können«, sagte ich. »Wenn sie uns finden, werden wir sie hören, sobald sie versuchen, hier reinzukommen.«
»Abgemacht. Wenn wir nicht mal eine komplette Nacht durchschlafen, werden wir am Ende dafür bezahlen.«
Mit der Geschwindigkeit unserer Reflexe, mit Erschöpfung, das auf jeden Fall. Über andere Konsequenzen wollte ich gar nicht erst nachdenken. »Schaffen wir es an einem weiteren Tag bis dorthin?«
»Wahrscheinlich.«
»Und was machen wir
Weitere Kostenlose Bücher