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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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Richtungen gelenkt. Dennoch waren Fingerhut und Stein meine beiden engsten Kameraden. Ich war die Jüngste der drei, und nachdem sie ihren Namen bekommen hatten, hatten sie es immer ganz besonders genossen, mich Mädchen15 zu nennen.
    Fingerhut war ein zierliches Mädchen und ein bisschen
älter als ich. Sie war Schafferin und hatte dunkles Haar und braune Augen. Wegen ihres spitzen Kinns und der großen Augen wurde sie manchmal gefragt, ob sie die Zeit als Balg überhaupt schon hinter sich hatte. Sie hasste das, und es gab nichts, womit man sie leichter wütend machen konnte.
    Weil sie mit ihren Händen arbeitete, waren ihre Finger oft dreckverschmiert, und der Dreck fand schnell den Weg auf ihre Kleidung und in ihr Gesicht. Wir hatten uns an den Anblick gewöhnt, wie sie sich die Wange kratzte und dabei schwarze Streifen auf ihrem Gesicht hinterließ. Aber ich zog sie nicht mehr damit auf, denn sie war sehr sensibel. Eines ihrer Beine war ein Stückchen kürzer als das andere, und wenn sie ging, humpelte sie ein bisschen – nicht wegen einer Verletzung, sondern wegen dieses kleinen Geburtsfehlers. Hätte sie den nicht gehabt, wäre sie mit Sicherheit eine Zeugerin geworden.
    Stein war Zeuger, weil er stark und schön war, aber nicht besonders schlau. Dreifuß war der Meinung, dass er gutes Zuchtmaterial in sich trug, und wenn man ihn mit einer klugen Frau zusammenbrachte, würde das gute, gesunde Nachkommen ergeben. Nur Bürger mit Eigenschaften, die weiterzugeben sich lohnte, durften sich fortpflanzen, und die Ältesten wachten aufmerksam über die Zahl der Geburten. Wir konnten nicht zulassen, dass mehr Bälger auf die Welt kamen, als wir versorgen konnten.
    Fingerhut kam herbeigelaufen, um meine Unterarme zu begutachten. »Wie schlimm war es?«
    »Ziemlich schlimm«, sagte ich. »Zweimal so schlimm wie bei dir.« Ich blickte Stein scharf an: »Und sechsmal so schlimm wie bei dir.«

    Er machte immer Witze darüber, dass er die angenehmste Aufgabe in der ganzen Enklave hatte. Vielleicht stimmte das auch, aber ich wollte die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass unser Volk auch bis zur nächsten Generation überlebte, nicht auf meinen Schultern tragen. Stein musste nicht nur Nachkommen zeugen, er musste sich auch um die Bälger kümmern, und ich glaubte nicht, dass ich mit so viel Tod zurechtgekommen wäre. Bälger waren unglaublich zerbrechlich. Dieses Jahr hatte er einen Jungen gezeugt, und ich wusste nicht, wie er mit der Angst umgehen konnte. An meine eigene Zeugerin konnte ich mich kaum erinnern. Selbst für unsere Verhältnisse war sie jung gestorben. Eine Krankheit wütete in der Enklave, als sie achtzehn war. Wahrscheinlich war sie von den Händlern aus Nassau eingeschleppt worden. In jenem Jahr wurden zahlreiche unserer Leute von ihr dahingerafft.
    Manche waren der Überzeugung, dass die Nachkommen von Zeugern dieselbe Aufgabe erfüllen sollten. Und unter den Jägern gab es eine stille Bewegung, die es für eine gute Idee hielt, wenn auch die Jäger sich in ihren eigenen Reihen fortpflanzten, dass ein Jäger, sobald er zu alt war, um selbst auf Patrouille zu gehen, für die nächste Generation sorgen sollte. Ich war nicht dieser Meinung. Seit ich gehen konnte, hatte ich dabei zugesehen, wie die Jäger in den Tunneln verschwanden, und gewusst, dass dies auch meine Bestimmung war.
    »Ich kann nichts dafür, dass ich so hübsch bin«, erwiderte er grinsend.
    »Hört auf, ihr beiden.« Fingerhut zog ein Geschenk heraus. Es war in ein abgewetztes Stück Stoff gewickelt. »Da.«

    Das hatte ich nicht erwartet. Mit nach oben gezogenen Augenbrauen nahm ich das Bündel entgegen, wog es in der Hand und sagte: »Du hast neue Dolche für mich gemacht.«
    Fingerhut funkelte mich wütend an: »Ich hasse es, wenn du das tust.«
    Um sie zu besänftigen, faltete ich den Stoff auseinander. »Sie sind wunderschön .«
    Und das waren sie. Nur eine Schafferin konnte so etwas Schönes herstellen. Sie hatte sie nur für mich gegossen. Ich dachte an die vielen Stunden über dem Feuer, an das Abkühlen in der Gussform und das Härten, das Polieren und das Schärfen am Schluss. Die Dolche schimmerten im Fackelschein. Ich probierte sie aus. Sie waren perfekt ausbalanciert. Dann führte ich ein paar Bewegungen aus, um Fingerhut zu zeigen, wie sehr sie mir gefielen. Stein machte einen Luftsprung, als könnte ich ihn unabsichtlich treffen. Er konnte ein richtiger Idiot sein. Eine Jägerin traf nie aus Versehen.
    »Ich wollte, dass du

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