Die Enklave
sie getötet, und ich wusste nicht, warum. Wenn das Horten der Grund war, hätte sie verbannt werden müssen.
Aber vielleicht lag die Wahrheit noch tiefer. Vielleicht wussten die Ältesten etwas von der stillen Rebellion. In diesem Fall war Banner als ebenso stille Warnung umgebracht worden: Lass dich mit ihnen ein, und du wirst so enden wie sie. So etwas würden die Ältesten nicht öffentlich austragen wollen, denn dann müssten sie zugeben, dass manche Bewohner ihre Führung in Frage stellten. Und öffentliche Anerkennung von Unzufriedenheit würde noch mehr Unzufriedenheit entstehen lassen. Ich verstand, wie sie dachten.
»Sie haben ihre Sachen in die Archive gebracht«, sagte Bleich leise. »Und Banner an die Freaks verfüttert.«
Ich zuckte zusammen. »Das tut mir leid.«
»Was tun wir also?«
»Was können wir schon tun?«
Statt zu antworten, drehte er sich um und ging auf die Tunnelsperre zu. Ich hatte Angst, dass er etwas Unüberlegtes tun würde, aber mir fiel nichts ein, wie ich ihm helfen konnte. Wenn ich unvorsichtig wurde, würde ich enden wie Banner. Und Bleich auch.
Ein paar Wochen später wurde ich wie versprochen für meinen Beitrag zur Entwicklung unserer Kultur belohnt. Banners Tod schwebte immer noch über mir, und ich wollte die Belohnung nicht, aber es war unmöglich abzulehnen. Es gab ein Festessen, und der Worthüter ließ mir einen Ehrenplatz an seiner Seite zuteilen.
Als alle sich versammelt hatten, stand er auf. »Wir sind hier, um Zwei zu ehren, eine Jägerin, die trotz beträchtlicher Risiken einen ganzen Beutel voller Relikte nach College gebracht hat. Sie hat nicht versucht, etwas von dem, was sie gefunden hat, zu ihrem eigenen Vorteil zu behalten. Stattdessen dachte sie zuerst an das Wohl der Enklave, so wie man es stets tun sollte.« Der Worthüter dröhnte weiter von der Wichtigkeit, die Gruppe über die eigenen Interessen zu stellen. Er erwähnte auch, wie durch meine Rolle ein Tauschhandel zustande gekommen war, durch den die Enklave Zugang zu Relikten in einer Anzahl hatte, wie wir sie noch nie zuvor gesehen hatten.
Es war ein seltsames Gefühl, für etwas öffentlich gelobt zu werden, das reiner Zufall gewesen war. Ich beugte meinen Kopf und hoffte, dass mich nicht alle hassten, weil sie wegen mir eine Rede des Worthüters über sich ergehen lassen mussten. Aber jeder schien glücklich über den freien Tag. Als er zu Ende gesprochen hatte, hob der Worthüter in einer dramatischen Geste seine Hände. »Lasst die Feierlichkeiten beginnen! «
Ein Tosen ging durch die Menge. Pfeifen und Trommeln hallten durch die Enklave. Fackeln dampften, die Erwachsenen tanzten und stampften, und dazwischen rannten die Bälger umher. Das gebratene Fleisch und die Pilze schmeckten
unglaublich gut, und es gab auch Fisch. Dieses eine Mal war das Essen nicht rationiert, und ich nahm von allem eine zweite Portion. Die Bälger schnappten sich sofort meine leeren Teller, rannten damit davon und leckten sie ab. Dann wuschen sie sie, damit ein anderer Bewohner von College, der heute nicht geehrt wurde, ihn benutzen konnte.
Vom Rand des Geschehens beobachtete ich die Feier, bis ein Jäger kam, um mich zu holen. Ich hob den Kopf und merkte, dass er bereits länger im Patrouillendienst war als Bleich. Schon als Balg hatte ich ihn oft beim Training beobachtet, und er lächelte mich an. Wie hieß er noch mal? Seide hatte ihn mir vorgestellt, aber an meinem ersten Tag war ich so nervös gewesen, dass ich mich nur an die Hälfte der Namen erinnern konnte.
Nagel , fiel es mir schließlich wieder ein.
»Komm«, sagte er. »Sonst verpasst du’s noch.«
»Was?«
»Wir machen eine Vorführung.«
Trotz meiner düsteren Stimmung fuhr ein Kribbeln durch meinen Körper. Wie konnte ich das nur vergessen haben? Bei jeder Feier kamen die Jäger zusammen und trugen als Teil des Unterhaltungsprogramms Sparringskämpfe aus. Die Bewohner der Enklave schlossen oft Wetten über den Sieger ab. Ich stand auf und versuchte möglichst ernst auszusehen, auch wenn die Aufregung nur so in mir hochkochte.
Ich schaute hinüber zum Worthüter, der neben mir gesessen und den anderen beim Tanzen zugesehen hatte. »Darf ich mich entfernen, Sir?«
»Selbstverständlich. Kämpfe gut, Jägerin.«
Ich dachte mir noch, dass ich mich gar nicht satthören
konnte an dieser Anrede, dann musste ich mich schon beeilen, um mit Nagel Schritt zu halten. Er führte mich zum Trainingsraum, wo die anderen bereits alle warteten. Wir
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