Die Enklave
Namensgebungstagsgeschenke zu holen. Du hast sie doch sicher schon fertig, oder?«
»Das habe ich in der Tat. Vier Kisten, gleich da drüben. Aber ich kann niemanden entbehren, der dir beim Tragen hilft.«
Ich schaute in die Richtung, in die er gezeigt hatte, und musste ein Stöhnen unterdrücken. Die Kisten waren ziemlich groß. Das würde eine Weile dauern, und ich würde viermal gehen müssen. Anstatt einen Streit anzufangen, wie er offensichtlich erwartete, nickte ich nur und ging hinüber zu den Kisten. Ich brauchte beide Arme, um eine davon hochzuheben, und als ich damit auf den Ausgang zuwankte, stieß ich mit jemandem zusammen. Ich spähte über die Kante meiner Fracht und erkannte Banner.
»Brauchst du Hilfe?«
Ich sah kurz hinüber zu Rute, der bereits mit etwas anderem beschäftigt war, und sagte: »Eigentlich ja. Aber ich möchte nicht, dass du Ärger bekommst.«
»Ich hab heute frei. Ich bin nur gekommen, um Fingerhut Hallo zu sagen und sie zu fragen, ob ich ihr mit den Regalen helfen kann, die sie gerade baut, aber vorher kann ich dir ein bisschen Zeit widmen.«
»Gut. Wir müssen da lang.«
Ich machte mich auf den Weg zu dem Raum, den wir für die Zeremonien benutzten, was uns mitten durch das Gassenlabyrinth führte. Als wir an der Küche vorbeikamen, roch ich etwas Leckeres, Essen, das besser war als sonst, oder vielleicht hatte ich auch bloß Hunger. Mit Banners Hilfe musste ich nur zweimal gehen, aber trotzdem schmerzten meine Arme, als wir fertig waren.
»War gar nicht so schlimm.«
Wenn ich sie mit zwei Worten hätte beschreiben müssen, dann mit: gnadenlos fröhlich . Ich fragte mich, was sie sagen würde, wenn sie von dem blinden Balg wüsste oder davon, was sie mit den Tunnelbewohnern gemacht hatten. Über Letzteres wusste ich aber selbst noch nichts Genaues, und ich wollte sie nicht damit belasten. Besser, Bleich und ich hielten die Klappe.
»Danke.«
»Ach ja, ich hab deine Salbe fertig. Bleich hat gesagt, ich solle sie ihm geben, aber wenn du möchtest, können wir sie jetzt gleich holen.« Mit stechend blauen Augen schaute sie mich an, als wollte sie mir eine stumme Frage stellen.
»Schön.«
Achselzuckend folgte ich Banner zu ihrer Parzelle. Ich fragte mich, warum sie die Salbe nicht in der Werkstatt gelassen hatte, dachte mir aber nicht mehr dabei, bis wir ihre Parzelle betraten. Auf den ersten Blick sah sie genauso aus wie meine. Doch dann hob sie ihre Kiste hoch, und darunter kam eine Vertiefung im Boden zum Vorschein.
Sie hortet. Ich hatte keinen Zweifel, dass die Ältesten sie sofort verbannen würden, wenn sie zu sehen bekämen, was sie dort versteckt hatte. Instinktiv ging ich einen Schritt zurück.
»Bleich sagte, ich kann dir vertrauen. Er hat gesagt, du bist eine von uns. Hat er sich getäuscht?«
»Eine von was?«, flüsterte ich zurück. Ich wandte den Blick von ihrem Versteck ab, wünschte, sie würde die Kiste wieder daraufstellen. Ich war nicht sicher, ob ich einen der Ältesten – oder selbst Zwirn – belügen konnte, falls sie mich direkt damit konfrontieren sollten. Allein der Gedanke trieb mir kalten Angstschweiß aus den Poren.
»Die Ältesten regieren die Enklave schlecht. Sie dienen nicht mehr dem Wohl der Bewohner, falls sie das jemals getan haben.«
So weit stimmte ich mit ihr überein. Ich nickte vorsichtig. Die Ältesten hatten mein blindes Vertrauen verloren, zuerst durch ihr Vorgehen in der Sache mit dem Balg, dann durch Seides Reaktion auf unseren Bericht von Nassau. Den Preis für ihre Weigerung, Veränderung zuzulassen, würden die Bewohner von College zahlen müssen. Ich begriff zwar, dass die Regeln unserem Schutz dienten, aber wenn wir uns nicht an die veränderte Situation hier unten anpassten, würden wir alle sterben.
Und trotzdem wollte ich nichts von ihren Plänen wissen. Ich war immer noch Jägerin, keine Verräterin oder Revolutionärin. »Könntest du mir jetzt bitte die Salbe geben?«
Die Enttäuschung war deutlich in ihrem Gesicht zu sehen, aber sie tat, worum ich gebeten hatte. Ich verließ ihre Parzelle im Rückwärtsgang, als hätte Banner eine ansteckende Krankheit. Was ich wollte, waren Antworten. Ich wollte nicht Teil einer geheimen Rebellion sein. Der Gehorsam war zu tief in mir verankert.
Entschlossen, möglichst viel Abstand zwischen mich und
Banner zu bringen, lief ich in den Kochbereich. Mein Abendessen stand noch aus. Außerdem wollte ich Zwirn aufsuchen und sehen, ob ich für den Gefallen, den ich ihm getan
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