Die Enklave
Tunnelbewohnern mitgebracht hatte. »Du wurdest gesehen, wie du in den Archiven herumgeschlichen bist. Hast du irgendeine Erklärung abzugeben, bevor wir das Urteil sprechen?«
Tränen strömten über sein Gesicht. Der Balg auf seinem Arm spürte, was los war, und fing in kleinen, seufzenden
Schluchzern an zu weinen. »Das ist nicht meins. Ich habe keine Ahnung, wie es dorthin gekommen ist.«
Wie ich sie so beobachtete, wusste ich es zumindest. Ich wusste es, und mir wurde übel. Kegel hatte wahrscheinlich auch nichts verbrochen gehabt. Von Zeit zu Zeit wählten sie einfach willkürlich einen der Bewohner aus. Sie schmuggelten ein Relikt in seine Privatparzelle und beschuldigten ihn dann, er würde horten. Sie wollten, dass jeder die Konsequenzen regelmäßig vor Augen geführt bekam. So hielten sie uns davon ab, ihre Entscheidungen in Frage zu stellen. Und ich hatte einmal geglaubt, die Ältesten wären gütig und weise.
Aber jetzt nicht mehr.
Stein hatte Oben nicht die geringste Chance, und er hatte einen Balg. Er hatte einen gezeugt, vielleicht den, den er gerade auf dem Arm hielt. Ich konnte nicht einfach zusehen und es geschehen lassen. Schon der Balg aus dem Tunnel ließ mich nicht mehr los. Niemals würde ich mit der Verbannung meines Freundes leben können.
»Das widerlegt die Beweise nicht«, erwiderte Dreifuß.
»Es gehört mir.« Ich sprach die Worte, noch bevor ich wusste, dass ich es tun würde.
Feindselige Hände schoben mich auf die Mitte des Kreises zu. Ich stolperte, fand mein Gleichgewicht wieder und ging mit wild hämmerndem Herzen weiter. Ich wollte das nicht tun. Es war ganz und gar ausgeschlossen. Ich wollte nicht die einzige Heimat verlassen, die ich je gekannt hatte.
Der Worthüter starrte mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Du sagst, du hättest das gestohlen? Nachdem du dich vor allen Bürgern als leuchtendes Vorbild erwiesen hast?«
Sein angespannter Gesichtsausdruck verriet, dass er wusste, dass ich nichts dergleichen getan hatte.
»Und wie ist es dann in Steins Parzelle gekommen?«, bohrte Seide nach.
Ich weiß nicht, was ich gesagt hätte, doch da betrat Bleich den Kreis. Nein, tu das nicht. Bleib hier, in Sicherheit . Ich musste ihn irgendwie vom Sprechen abhalten, schüttelte sogar den Kopf, aber er sah mich nicht an.
Entschlossen blickte er den Ältesten ins Gesicht. »Ich habe es dorthin getan. Ich war eifersüchtig auf die Freundschaft zwischen den beiden, und ich wollte, dass Stein für das bestraft wird, was Zwei getan hat.«
Ein Raunen ging durch die Menge, dann herrschte absolute Stille.
Ich konnte regelrecht sehen, wie die Ältesten abwogen, welchen Effekt es haben würde, wenn zwei ehemalige Helden zu Fall gebracht wurden. Bleich hatte sich als der beste Kämpfer von allen erwiesen und würde ein hervorragendes Beispiel abgeben. Seht her , würden sie sagen. Jeder kann vom rechten Weg abkommen. Und das ist der Grund, warum ständige Wachsamkeit und Gehorsam so wichtig sind. Sie berieten sich viel zu kurz, ganz anders als nach der Anhörung nach meinem Namensgebungstag. Diese Angelegenheit war ernst, und jemand musste bezahlen, gleich.
»Ich nehme euer Geständnis an«, sagte Dreifuß. »Von diesem Moment an seid ihr verbannt. Alle Titel werden euch aberkannt, und kein Bewohner von College wird euch Hilfe oder Zuflucht gewähren, außer er will ebenfalls verbannt werden. Geht nach Oben, Gesetzesbrecher.«
Obwohl ich es genau so erwartet hatte, erdrückte mich die
Last des Richterspruchs. Ich versuchte, Fingerhuts Blick aufzufangen, aber sie drehte sich weg. So wie alle anderen. Als Balg war ich einmal bei einer Verbannung dabei gewesen. Und wie alle anderen hatte auch ich voller Abscheu den Blick von dem Verurteilten abgewandt. Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie es sich am eigenen Leib anfühlen würde. Jedes Jahr, dachte ich. In jedem Jahr, das seitdem vergangen ist, haben wir Leute nach Oben geschickt.
Ein Teil meines Bewusstseins begriff, dass sie Stein als Warnung ausgesucht hatten. Weil er mir etwas bedeutete, weil wir schon als Bälger Freunde gewesen waren. Die Warnung sollte mich daran erinnern, meine Klappe zu halten und ja nichts von dem weiterzugeben, was Banner oder Bleich mir vielleicht erzählt hatten. Die Ältesten hatten nicht damit rechnen können, dass ich so reagieren würde. Ich konnte es ja nicht einmal selbst glauben.
Stein sah vollkommen durcheinander aus, als würde er nicht verstehen, was vor sich ging. Er tätschelte den Balg
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