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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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sie tot, Überbleibsel aus den alten Tagen. Ich fühlte mich unglaublich einsam, vermischt mit einer Vorahnung ganz ähnlich dem Gefühl, wenn wir unsere Toten in die Tunnel brachten, um sie den Freaks zu überlassen. Wir waren allein … wenn auch nicht ganz: Ich spürte Blicke aus unsichtbaren Verstecken. Sie beunruhigten mich.
    Vögel stießen auf kleine, pelzige Geschöpfe hinab, die durch die Schatten huschten. Eines davon, es war besonders fett und mutig, blieb in einiger Entfernung stehen und kaute auf etwas herum. Zumindest dieses Tier kannte ich, und ich wusste, wie man es mit einer Falle erlegen konnte, wenn wir Fleisch brauchten. Das gab mir Sicherheit – nicht alles hatte sich verändert.
    Bleich folgte meinem Blick und nickte. »Ja, auch hier gibt es Ratten.«
    Es schlichen noch andere Tiere mit uns durch die Dunkelheit, welche, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ganze Gruppen von Kreaturen mit Hörnern auf ihren Köpfen liefen mit klappernden Schritten über die Straßen. »Hirsche«, erklärte Bleich. Das Wort sagte mir nichts, aber Bleich meinte,
sie würden gut schmecken. Nur leider waren sie zu schnell und zu groß für eine einfache Schlinge. Weitere Tierlaute zerrissen die Stille: Knurren, Brummen und Jaulen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, welche Tiere solche Geräusche machten.
    »Wo sind sie alle?«, fragte ich flüsternd.
    Der Worthüter hatte uns zumindest so viel beigebracht, dass ich wusste, dass diese Städte einmal voller Menschen gewesen waren. Natürlich hatte er auch behauptet, der Himmel würde brennen und der Regen uns das Fleisch von den Knochen fressen. Also konnte ich mich im Grunde genommen auf nichts verlassen, was ich bisher gelernt hatte.
    Bleich zögerte. Er sah jung und unsicher aus. »Mein Dad hat gesagt, die Menschen hätten die Stadt schon vor langer Zeit verlassen. Nach Norden und Westen, um hier wegzukommen. «
    »Weg von was?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Vielleicht können wir es herausfinden«, erwiderte ich. »Wir haben schon ein Buch gefunden, obwohl wir gar nicht danach gesucht haben. Vielleicht gibt es ja noch mehr.«
    Er blieb stehen und schaute durch mich hindurch, als versuchte er, sich an etwas zu erinnern. »Er hat mir von einem Ort erzählt, der voll davon war. Eine Bibliothek.«
    »Ein Ort für Bücher? Weißt du, wo das ist?«
    Bleich schüttelte den Kopf. »Wir müssten jemanden fragen. Es ist zu gefährlich, in der Stadt herumzulaufen und danach zu suchen. Früher oder später würden die Gangs uns kriegen.«
    »Gibt es denn jemanden, den wir fragen können?« Ich
spähte hinaus in die Dunkelheit. Sie schien zurückzustarren, und ich musste ein Zittern unterdrücken. »Und glaubst du, es lohnt sich, wenn wir es versuchen?«
    »Wir können tun, was immer wir wollen. Ich glaube, die bessere Frage wäre, wie viel du wissen willst.«
    »Eine Menge«, dachte ich laut.
    Ich wollte mich nicht mehr mit den Halbwahrheiten und Lügen abfinden, die mir als Balg aufgetischt worden waren. Ich wollte die Welt verstehen, wie niemand es Unten je getan hatte. Ich wollte die Wahrheit wissen.
    »Dann gibt es vielleicht jemanden. Mein Dad hatte einen Freund … der ist mittlerweile sicher tot, aber er hatte eine Tochter. Pearl könnte es uns sagen, wenn sie noch lebt. Ihr Vater hatte Karten.«
    Ich kam mir zwar dumm vor, aber ich musste nachfragen: »Was für Karten?«
    »In ihnen steht, was sich in den Ruinen befindet. Oder befunden hat.«
    Wenn es von den Tunneln solche Karten gäbe, müsste ich nicht ständig meine Schritte zählen. Wie viele Schritte, wie viele Abzweigungen. Ich könnte die Karten auswendig lernen und mir den Weg einprägen, bevor ich hinaus in die Dunkelheit ging. Wir hatten nur Karten von den Routen, die wir oft benutzten, zum Beispiel nach Nassau, aber wir hatten keine Ahnung, wohin die Seitentunnel führten oder von versteckten Kammern voller Relikte wie die, die Bleich gefunden hatte.
    Mein Staunen und meine Begeisterung verflogen schlagartig, als mir wieder einfiel, dass das nicht länger meine Aufgabe war. Ich hatte keinen Lebenszweck mehr. Ich trug die
Male einer Jägerin, aber ich hatte niemanden mehr, den ich beschützen konnte.
    »Kannst du sie finden?«
    »Wenn sie nicht woanders hingegangen ist, und … Es hängt von mehreren Dingen ab.« Bleich ging weiter.
    »Warum bist du nicht zu ihr, nachdem dein Zeuger …«
    »Es war zu weit weg. Ich hab’s kaum bis in die Tunnel geschafft.«
    »Aber du glaubst, wir können

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