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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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Laden, wo ich die Regale nach weiteren Dingen absuchte, die wir gebrauchen könnten. Manche der Gegenstände sahen sogar aus, als wären sie extra dafür gedacht, Wunden zu behandeln.
    Bleichs Mundwinkel zuckten leicht, als ich den Stoff von seinen Wunden zog. Ich versuchte, vorsichtig zu sein, aber das getrocknete Blut klebte hartnäckig. Nachdenklich starrte ich auf die Schnitte – sie hatten sie genau parallel zu seinen Jäger-Malen angesetzt. Jetzt hatte er zwölf. Ein Teil von mir wünschte sich, ich hätte Zwirns glühendes Eisen, um sie zu verschließen, damit Bleichs Arme für alle Zeit sagen würden: »Ich bin ein doppelt so guter Jäger wie du.« Aber Oben hatten diese Symbole keine Bedeutung. Sie waren nichts als Narben, und niemand würde ihn dafür bewundern, dass er so viele davon hatte. Auch das war ein Verlust, der mich traurig machte.
    Ich beugte mich näher heran, säuberte seine Wunden und strich Banners Salbe darauf. Ein primitiver Teil meines Gehirns glaubte, dass sie keine Wirkung mehr haben würde, jetzt, da Banner tot war; aber wir hatten nichts anderes, und ich wollte, dass die Schnitte heilten.

    Bleich verzog keine Miene mehr, und ich schnitt eins der Kleidungsstücke in Streifen, um die Wunden damit zu verbinden. Ich drehte den Stoff so, dass die weiche Seite auf den Schnitten lag. Die Außenseite war glatt und glänzend wie bei dem Pullover, den ich trug. Sie würde den Regen abhalten – ein sehr nützliches Material. Schlimm, dass das Wissen, wie man es herstellte, verlorengegangen war. Andererseits war alles, was ich jemals gekannt hatte, ebenfalls verloren. Ich fühlte mich, als müsste ich alles von neuem lernen wie ein Balg oder die schmerzhaften Konsequenzen ertragen.
    Ich wollte Bleich gerade sagen, dass ich mit dem Verbinden fertig war, doch als ich aufblickte, sah ich, wie seine schwarzen Augen mich fixierten. Er schaute nicht weg und hob seine Hände an mein Gesicht. Ich spürte ihre Wärme auf meinen Wangen, und noch bevor er den Kopf neigte, wusste ich, was er tun würde: seine Lippen auf die meinen legen. Und ja, ich wollte, dass er das tat. Er ließ sich Zeit und gab mir dadurch die Möglichkeit, mich von ihm loszumachen, aber ich hielt still, wagte kaum zu atmen. Der alte Konflikt in meinem Kopf, dieses ständige kann nicht , darf nicht wurde mit einem Schlag hinweggefegt und von zwei neuen Wörtern ersetzt: ja und bitte .
    Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und schlang meine Arme um seinen Hals. Unsere Lippen berührten sich, und ich schmiegte mich an seinen Körper. Ich atmete seinen Atem und kostete seinen Geruch. Er war wie die Hitze eines Feuers, wie die Süße des Mondes, den ich gerade erst neu entdeckte. Kein Wunder, dass Zeuger immer so fröhlich sind, dachte ich atemlos.

    »Nie habe ich irgendwohin gehört. Bis ich dich getroffen habe«, sagte er und legte seine Wange auf mein Haar.
    »Und ich habe nur geglaubt, ich würde irgendwohin gehören. «
    Als ich an die Enklave zurückdachte, spürte ich einen Stich. Ich würde Stein und Fingerhut für den Rest meines Lebens vermissen, mir Sorgen um Zwirn machen und hoffen, dass es den Bälgern gut ging, vor allem 26. Aber ich gehörte nicht mehr dorthin, das wusste ich jetzt. Mitleid war nicht der einzige Grund gewesen, warum ich mich für Stein geopfert hatte.
    »Und jetzt?«
    Ich konnte ihn nicht anlügen. »Ich bin dort geboren worden. Ich hab immer geglaubt, dass ich auch dort sterben würde. Wenn ich College nie verlassen hätte, wäre ich dort zufrieden gewesen, denke ich. Ich hab die Geschichten geglaubt, die sie uns über Oben erzählt haben. Als ich mit dir die Treppe hinaufging, dachte ich, ich würde sterben vor Angst.«
    »Nicht du«, erwiderte Bleich. »Ich habe dich noch nie aufgeben sehen. Du warst so wild entschlossen, jedem zu beweisen, dass du es verdienst, eine Jägerin zu sein … Dabei warst du selbst die Einzige, die je daran gezweifelt hat.«
    Ich war verblüfft. »Wie meinst du das?«
    »Du warst eine der Besten. Hätte Nagel dich nicht mit seiner schieren Körperkraft gestoppt, wären wir beide uns im Endkampf gegenübergestanden. Aber du hast an dir gezweifelt, weil du nicht so hart bist wie die anderen Jäger. Es fällt dir nicht so leicht wie ihnen.«
    »Das stimmt«, sagte ich leise und musste an den blinden Balg denken, den wir nicht hatten retten können.
    »Und deswegen habe ich …«

    Bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, kam Tegan herein. »Hier versteckt ihr euch

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